VN-Reisebericht Aragon: Entdeckung der Langsamkeit

Reise / 08.09.2019 • 10:00 Uhr
VN-Reisebericht Aragon: Entdeckung der Langsamkeit

In der spanischen Region Aragon lohnt es sich, die Landschaft und die oft verlassenen Dörfer zu entdecken.

Aragon Vögel zwitschern, der Wind raschelt in den Bäumen, durch die leeren Fensterhöhlen blickt blau der Himmel. Wir sind in einem verlassenen Dorf im spanischen Aragon. Doch Pano soll nicht weiter verfallen. Dafür will ein Belgier sorgen, der das ganze Dorf gekauft hat und für Touristen wieder auf- und umbauen will. In der ehemaligen Kirche entsteht gerade ein Luxusdomizil mit Empore und bodentiefen Fenstern. Weiter vorne ist ein Haus schon fertig, „Bienvenido a Pano“ steht in krakeliger Kinderschrift auf einem Stein, umgeben von Blumen. Es wird noch dauern, bis Pano wieder auflebt. Viele Dörfer haben diese Hoffnung nicht mehr. Allein in der Provinz Huesca in Aragon gibt es 320 verlassene Dörfer.

VN-Reisebericht Aragon: Entdeckung der Langsamkeit

Auch das Städtchen Alquézar an den Ausläufern der Pyrenäen inmitten des Naturparks Sierra y Cañones de Guara drohte zu veröden – trotz der imposanten Burganlage und der schönen Wehrkirche Santa María la Mayor, erzählt unser Führer Raul Martin. Den 47-Jährigen mit dem grau melierten Hipster-Bart und dem dunklen Haarknoten hat es vor 15 Jahren aus Madrid in die bergige Provinz mit ihren tief eingeschnittenen Canyons verschlagen. „Der Liebe wegen“, so Raul, womit er die Liebe zu den Bergen und zum Bergsport meint. „Ein ganz anderes Leben sei das hier in der Provinz“, erklärt Raul, „stressfrei und entspannt“. Dass Alquézar in Schönheit wieder auferstanden ist, habe das Städtchen dem Engagement einiger Bürger zu verdanken, die sich bei der Restaurierung und beim Wiederaufbau an der Tradition orientierten, sagt der Guide und zeigt auf eine Hausfassade mit Wappen und einen Eingang, über dem Wildschweinklauen an die Wand genagelt sind, wohl um böse Geister fernzuhalten.

Was Alquézar geschafft hat, muss Fonz noch erreichen. Das Städtchen wirkt so alt wie die Männer, die vor dem einzigen Café sitzen. Die mächtige Kirche bröckelt, an einigen der alten Häuser prangt das Schild „se vende“, zu verkaufen. Im ehemaligen Stadtpalast ist die Tagespflege für Senioren untergebracht. „Diese Orte sterben an Altersschwäche“, sagt Raul betrübt. Immerhin: Die Störche auf dem Kirchturm haben Nachwuchs. Dabei hat Fonz mit seinen gerade mal 900 Einwohnern einiges zu bieten. Denn zur Zeit der Renaissance blühte das Städtchen, wie wir im Palastmuseum Casa Ric-Otal sehen. Und dann müssen wir noch zur Quelle Fuente d‘Abaix, die den Ort einst reich gemacht hat. Der Bau der Wasserleitung stammt aus den Anfangsjahren des 18. Jahrhunderts. Wir schlüpfen geduckt durch das gerade mal 1,50 Meter hohe und 70 Meter lange Kanalgewölbe bis zur Quelle. Darüber hat Fonz ein kleines Museum eingerichtet – mit allem, was es über die Wasserversorgung zu wissen gibt.

Das Städtchen Alquézar befindet sich an den Ausläufern der Pyrenäen inmitten des Naturparks Sierra y Cañones de Guara. Shutterstock
Das Städtchen Alquézar befindet sich an den Ausläufern der Pyrenäen inmitten des Naturparks Sierra y Cañones de Guara. Shutterstock

Wir würden dem Städtchen so viele Touristen wünschen, wie an diesem Tag in Roda da Isábena vor der gigantischen Kathedrale San Vincente auf die Führung warten. Roda lebt – von seiner Kathedrale. Mit gerade mal 50 Einwohnern ist es der kleinste Ort in Spanien mit einer Kathedrale und schon deshalb eine Attraktion. Das Portal aus dem 13. Jahrhundert, die Krypta und der Kreuzgang aus dem 12. Jahrhundert, die Fresken und die kleinen sorgfältig in den Stein geschnittenen Reliefs – wunderschön.

Wer schöne Begegnungen erleben will, der darf nicht durchs Land rasen. „Slow driving“ heißt die Devise, langsam fahren, das Land entdecken, die kleinen von Kiefern und Wacholderbüschen umsäumten Straßen. Immer wieder anhalten und laufen. Durch den Canyon des Flusses Vero nahe Alquézar, wo die himmelstürmenden Felswände von Höhlen durchsiebt sind und das Wasser zwischen kristallklar und türkisblau changiert. Über die an den Felswänden hängenden Pasareles, von denen man hinuntersehen kann auf den Fluss und einen kleinen Staudamm. Über einen holprigen Weg hineinfahren in die Natur und mit dem Geruch von wildem Knoblauch in der Nase weiterlaufen zu den „Tozal de Mallata“, schroffen Klippen, von denen der Blick ganz tief hinuntergeht zum Rio Vero und hinauf in den Himmel, wo die Geier kreisen. Über Leitern hinunterklettern zu Felsüberhängen, in denen die Menschen im Neolithikum ihren Alltag verewigt haben. Noch ein Stück fahren zum stillen Dorf Lecina und hinübergehen zur 1000-jährigen Steineiche, einer Skulptur der Natur. Kein Mensch nirgendwo, nur die Kirchenglocken läuten um fünf Uhr abends. Simone F. Lucas (SRT)

Aragon

Lage Region im Norden von Spanien, an der Grenze zu Frankreich.

Anreise Am besten über den Flughafen von Zaragoza z.B. mit der Billigairline Volotea direkt ab München.

Fortbewegung Vor Ort am besten mit dem Mietwagen oder dem eigenen Auto. Auf manchen Strecken braucht man einen geländegängigen Wagen.

Einst das bedeutendste Kloster Spaniens: San Juan de la Pena. Shutterstock
Einst das bedeutendste Kloster Spaniens: San Juan de la Pena. Shutterstock