Tiflis: Kreativ, kantig, kämpferisch

Wer Berlin mag, wird Tiflis lieben. Eine Stadt voller Kontraste und Kreativität.
Tiflis ist keine Stadt, die sich auf den ersten Blick erschließt. Es ist eine Stadt der Vielfalt, des Wandels und der Widersprüche – und genau das macht sie so spannend. Zwischen bröckelndem Putz und Graffiti, zwischen jahrhundertealter Geschichte und wummernden Technobeats erzählt die georgische Hauptstadt eine Geschichte, die aktueller nicht sein könnte. Wer durch die hügeligen Gassen der Altstadt schlendert, trifft auf filigrane Holzveranden, kunstvoll geschnitzte Balkone und schmale, verwinkelte Gassen. Die Zeit scheint hier stehen geblieben zu sein – zumindest für einen Moment. Nur ein paar Schritte weiter reihen sich Designerläden, amerikanische Fastfoodketten, coole Cafés und moderne Hochhäuser aneinander. Die Stadt wächst, verändert sich, erfindet sich neu. Und doch bleibt sie tief verwurzelt in ihrer bewegten Vergangenheit.

Craft Beer und Vintage Shops
Besonders spürbar wird dieser Kontrast im Viertel rund um die ehemalige Näherei „Fabrika“. Wo früher Arbeiter schufteten, sitzen heute junge Menschen auf bunten Sofas oder im Innenhof über dem eine gingantische Discokugel hängt. Sie trinken Craft Beer oder stöbern durch den Plattenladen oder durch einen der zahlreichen Second Hand Läden, die man in diesem Viertel findet. Die Atmosphäre ist kreativ, weltoffen, irgendwie noch so roh. Und politisch. Denn Tiflis ist nicht nur angesagt – Tiflis ist laut. An fast jeder Ecke prangen Graffitis. Viele davon gegen Russland, für Europa, für Freiheit.


Seit den umstrittenen Wahlen gehen viele Menschen noch immer jeden Abend auf die Straße. Sie protestieren gegen die pro-russische Regierung, deren Machtübernahme als manipuliert gilt. Die Chancen auf Neuwahlen? „Gleich null“, kommt von unserem Guide David wie aus der Pistole geschossen. Trotzdem wollen sie ein Zeichen setzen. Mit seinen rund 40 Jahren hat er schon viel erlebt. Normalität gab es kaum, erzählt er. Waren doch die Jahre von Unruhen geprägt. Er selbst scheut keine Kritik an der neuen Regierung. Immerhin gilt noch Meinungsfreiheit, denke ich mir, als er im Restaurant lautstark von den Problemen erzählt.

Elektronische Musikszene
Die Sorgen der Menschen sind nicht unberechtigt. Bereits 2008 marschierte Russland in die Regionen Abchasien und Südossetien ein und besetzt sie bis heute. Die Angst, dass sich Geschichte wiederholen könnte, ist da. Und doch pulsiert das Leben in Tiflis – vielleicht gerade deshalb – mit einer Energie, die mitreißt. Ein besonderer Ort für diese Energie ist das Bassiani. Ein Club unter einem Fußballstadion, bekannt für seine elektronische Musikszene – und für strenge Türpolitik, ähnlich der des Berghain in Berlin. Wer es hineinschafft, betritt eine Welt, in der der Alltag draußen bleibt. Der Sound ist tief, die Atmosphäre dunkel und intensiv. Für viele ist der Club gerade wegen der strengen Türsteher ein sicherer Ort – auch für die LGBTQ-Community, die sich in Georgien nach wie vor mit Ablehnung konfrontiert sieht.

Kulinarisches Erlebnis
Tiflis ist auch kulinarisch ein Erlebnis. Von traditionellen Khinkali, also mit Fleisch oder Käse gefüllten Taschen aus Pastateig, bis hin zu modernen Restaurants ist alles dabei. Die Gerichte werden meist einfach in die Mitte des Tisches gestellt und geteilt. Schon die Auswahl der Vorspeisen ist vielfältig: eingelegtes Gemüse, cremiger Auberginensalat mit Granatapfel, Walnusspasten, Salate, Käse und frische Kräuter – meist vegetarisch, oft vegan. Niemals fehlen darf Khachapuri, Georgisches Käsebrot. Danach folgen herzhafte Hauptgerichte, bei denen Fleisch überwiegend die Hauptrolle spielt – Rind, Lamm oder Huhn, gerne geschmort, gewürzt, üppig.

Dazu wird Wein serviert, denn davon gibt es in Georgien reichlich. Sowohl traditionell in Tonkrügen hergestellten oder so wie wir ihn kennen. Getrunken wird allerdings erst, wenn der Tamada – der traditionelle georgische Tischredner seine Ansprache gehalten hat. Diese Rolle übernimmt unser Guide David voller Leidenschaft. Er spricht mal über das Leben, mal über die Liebe, die Zukunft oder über das Reisen. Seine Toasts sind keine Phrasen, sondern kleine philosophische Reisen, mal tiefgründig, mal humorvoll, aber immer ehrlich – und so wird das Essen zum Ritual, das verbindet. Schnell gewöhnen wir uns daran, David um einen Toast zu bitten, bevor wir den ersten Schluck trinken. Eine schöne Tradition, die das kleine Land zwischen Türkei und Russland sich bewahrt hat.

Auch für Kunstliebhaber
Auch wer sich für Geschichte und Kultur interessiert, wird in Tiflis fündig. Das Nationalmuseum bietet einen eindrucksvollen Überblick über die wechselvolle Vergangenheit des Landes – von prähistorischen Funden bis zur sowjetischen Besatzung. Wer sich mehr für Gegenwartskunst interessiert, besucht das Museum of Modern Art oder die Galerie Artarea, in der junge Künstlerinnen und Künstler ihre Werke zeigen – oft politisch, immer mutig. Architektonisch markant ist die moderne Friedensbrücke aus Glas und Stahl, die sich in eleganter Welle über den Fluss spannt. Gleich daneben ragt das alte Metekhi-Kirchlein auf einem Felsen über der Kura empor – ein wunderbarer Ort für den Sonnenuntergang. Die Narikala-Festung über der Altstadt, erreichbar zu Fuß oder mit der Seilbahn, bietet einen weiten Blick über das dichte Häusermeer der Stadt.

Am meisten beeindruckt mich neben all diesen Schönheiten aber das Gefühl, das die Stadt vermittelt: Trotz aller Widrigkeiten, trotz politischer Unsicherheit und wirtschaftlicher Herausforderungen ist Tiflis lebendig, mutig und voller Hoffnung. Eine Stadt, die nicht stillhält – und genau deshalb so inspirierend ist.
Tiflis
Anreise Edelweiss fliegt zweimal wöchentlich, mit einem A320, jeweils dienstags und samstags, von April bis Oktober nonstop von Zürich nach Tiflis. Buchbar auf flyedelweiss.com. Auf allen Edelweiss Flügen reist das erste Sportgepäck der Kategorie Normal (max. 23 kg) kostenfrei mit.
Währung Lari (GEL)
Unterkunft Das Radisson Blu Iveria Hotel in Tiflis bietet moderne Zimmer und einen guten Ausblick.
Mit Charme und Schräglage

Die Altstadt von Tiflis ist ein Labyrinth aus Gassen, Holzveranden und Balkonen. Wer hier unterwegs ist, fühlt sich etwas wie in einem offenen Museum. Häuser lehnen sich schief aneinander, Mauern bröckeln charmant, Wäsche flattert über kopfsteingepflasterte Wege. Und dazwischen immer wieder kleine Cafés, Werkstätten und Treppen, die irgendwohin führen – oder ins Nichts. Eines der auffälligsten Bauwerke ist der schiefe Turm mit der kleinsten Turmuhr der Welt, ein liebevoll zusammengezimmertes Kunstwerk aus Ziegel, und Holz. Er gehört zur Rezo-Gabriadze-Puppentheaterbühne und ist fast mehr Skulptur als Gebäude. Zur vollen Stunde öffnet sich ein kleines Fenster und ein Engel erscheint mit einem Hammer in der Hand.





