Europa am Abgrund
Das Tauziehen um den EU-Finanzrahmen für die nächsten sieben Jahre ist bezeichnend für den Zustand Europas: Immer weniger Politiker glauben an das Integrationsprojekt, immer mehr nützen es, um sich billig daran abzuputzen. Ob es unter diesen Umständen noch eine Zukunft hat, ist fraglich. Auf Dauer wird es jedenfalls nicht allein von Beamten und Abgeordneten in Brüssel und Straßburg getragen werden können.
In Zukunft soll es also weniger Geld für die EU geben. Was der eine oder andere Regierungschef daheim als Verhandlungserfolg darstellen wird, ist in Wahrheit Selbstmord: In einer Zeit, in der sich die Schuldenkrise zu bitterer Armut, echtem Hunger und Hoffnungslosigkeit in immer mehr Mitgliedsländern auswächst, ist es zum Beispiel verhängnisvoll, Förderprogramme zu kürzen. Das verschlimmert die Sache nur und ist letztlich zum Nachteil aller: Bricht das Wirtschaftsleben in Griechenland, Spanien und Portugal endgültig zusammen, sind auch Deutschland, Großbritannien und Österreich gefährdet. Wir sitzen schließlich in einem Boot.
Doch kurzsichtigen Politikern ist das egal. Europa ist out. Finanzministerin Maria Fekter von der einstigen Europapartei ÖVP verteidigte die fragwürdige Erhöhung der Pendlerpauschale vor dem Hintergrund der niederösterreichischen Landtagswahl zuletzt damit, Geld dafür auszugeben sei ihr lieber als es nach Brüssel zu schicken.
„Brüssel“ ist zum Synonym für einen Moloch geworden. Dabei wird gerne darauf vergessen, dass zum Beispiel die Gemeinde Wien mit 73.250 erheblich mehr Mitarbeiter hat als die EU (44.000). Abgesehen davon ist Brüssel kein Fremdkörper, sondern die Summe von 27 Mitgliedsländern. Wenn diesen etwas nicht gefällt, dann sollten sie also gefälligst handeln. Und nicht nur schimpfen.
Doch die Zusammenhänge werden vernebelt. Und so entstehen Halbwahrheiten wie jene, die EU wolle unser Wasser privatisieren. In Wahrheit will die Union einheitliche Spielregeln für den Fall schaffen, dass eine Kommune ihre Wasserversorgung verkauft. Dagegen kann nichts einzuwenden sein, außer man will dubiosen Geschäften Vorschub leisten. Der entscheidende Punkt ist vielmehr die Frage, ob Wasser überhaupt privatisiert werden soll oder nicht. Und die Antwort darauf ist allein auf nationaler Ebene festzulegen. Da hat Brüssel nichts mitzureden.
Der neue Ungeist hat sich von der europäischen Integration verabschiedet. Unentwegte Veto-Rufe auch von ÖVP-Politikern wie Außenminister Michael Spindelegger und Landwirtschaftsminister Nikolaus Berlakovich in der Budgetdebatte haben deutlich gemacht, wie weit der Rückzug in nationale Denkweisen gediehen ist.
johannes.huber@vn.vol.at, 01/3 17 78 34-10
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