Vom eifrigen Reformer zum eifrigen Schatzhüter

Papst Benedikt XVI.
bewies in seiner Laufbahn große Wandlungsfähigkeit.
Dornbirn. Der Kölner Erzbischof Joseph Kardinal Frings war zwar schon halb blind, aber hören konnte er noch gut, was ein junger Theologe namens Joseph Ratzinger über das I. Vatikanische Konzil zu sagen hatte: Der damals 35-jährige Professor der Universität Bonn äußerte sich theologisch perfekt, war historisch bewandert und offen für Neues. Genau diesen Mann brauchte Frings. Ihn wollte er als seinen persönlichen Berater mitnehmen nach Rom zum II. Vatikanischen Konzil. Dankbar nahm Ratzinger die Einladung an, ging es bei der großen Kirchenversammlung doch um seine Träume: Raus aus der Krise – die Kirche braucht Reformen, Auflösung der starren Strukturen, welche das Kirchenschiff ins Abseits trudeln ließen.
Kämpfer auf dem Konzil
Auf dem Konzil, das von 1962 bis 1965 dauerte, erlebte Ratzinger alle Höhen und Tiefen. Rasch stellte sich nämlich heraus, dass ein relativ großer Teil der Kurie und der Kardinäle gegen das Konzil waren. Sie hatten Interesse daran, dass sich nichts ändern sollte. Mehr noch: Durch teils intrigante Methoden versuchten sie, Reformansätze schon im Keim zu ersticken, zum Beispiel durch die Besetzung von Kommissionen und die Blockade von unliebsamen Texten. Ratzinger ließ sich nicht beirren, zog im Hintergrund die Fäden und scharte Gleichgesinnte wie den späteren österreichischen Kardinal Franz König um sich. Die Reformkräfte setzten sich ebenso zur Wehr. Ihr Sprachrohr war vor allem Kardinal Frings, der als „Mann der Mitte“ großen Einfluss hatte.
So wurden letztlich doch Erfolge erzielt, die für Ratzinger wichtig waren, vor allem bei Liturgie und innerkirchlichen Entscheidungsprozessen. Die Messe sollte nicht mehr nur in lateinischer Sprache gelesen werden. Auch wurde die Stellung der Bischöfe und der regionalen Ortskirchen gestärkt. Ein geradezu historischer Durchbruch gelang im Kampf gegen die größte Macht im Vatikan: gegen das „heilige Offizium“, die Inquisition. Nur dank der direkten Hilfe von Papst Johannes XXIII. konnten sich die Reformer hier durchsetzen: Die übermächtige Inquisition wurde in Glaubenskongregation umbenannt und anderen Ministerien im Vatikan gleichgestellt.
Joseph Ratzinger durfte zufrieden sein, aber ein weiteres einschneidendes Erlebnis hob seine geordnete Welt aus den Angeln: Die Jugendrevolte im Zuge der 1968er-Jahre. Was für die rebellierenden jungen Leute ein Schrei nach Freiheit war, war für Ratzinger ein Verfall von Sitte und Anstand.
Sorge um Katholizismus
Der Zeitgeist verlangte nach „Selbstfindung“, der Aufhebung von Autorität und der Vermischung von Religionen. Auf Postern wurde Jesus eine Pistole in die Hand gedrückt und an die Seite von Massenmörder Che Guevara gestellt. Für Ratzinger drohte der Katholizismus unterzugehen. Hinzu kam, dass sogar renommierte Theologen wie Hans Küng begannen, Dogmen wie die Unfehlbarkeit des Papstes oder die jungfräuliche Geburt Jesu infrage zu stellen. Plötzlich stehen für den Reformer, inzwischen zum Bischof und Kardinal befördert, nicht mehr Reformen im Vordergrund, sondern die Verteidigung des althergebrachten katholischen Glaubens. 1981 wird Joseph Ratzinger von Papst Johannes Paul II. zum Präfekten der Glaubenskongregation ernannt. Seine Hauptaufgabe: Die Bewahrung der katholischen Lehre. Ratzinger ist darin unerbittlich: Wie sein Mentor Papst Johannes Paul II. duldet er keine „light“-Version, entweder ganz katholisch oder gar nicht. Nur so könne der innere Zerfall verhindert und der „Glaubensschatz“ bewahrt werden.
Spielraum nicht genützt
Als Joseph Ratzinger 2005 zum Papst gewählt wurde, hätte er Spielraum gehabt, Reformen in Gang zu setzen, ohne gleichzeitig grundlegende Glaubenssätze infrage zu stellen. Er tat es nicht. Sogar manche Reformen des II. Vatikanums, für die er selbst als junger Mann noch gekämpft hatte, warten noch auf ihre Umsetzung. Vielleicht hatte er Angst, eine Entwicklung in Gang zu setzen, deren Ergebnis nicht absehbar ist.
Man kann das Aids-Problem nicht mit Kondomen regeln.
Papst Benedikt XVI.


