Grauen auf der Zielgerade

Spezial / 16.04.2013 • 21:41 Uhr
Wenige Meter vor dem Ziel des Boston-Marathons: Eine Bombe explodiert im Zuschauerbereich. Sekunden später detoniert eine zweite. Foto: Reuters
Wenige Meter vor dem Ziel des Boston-Marathons: Eine Bombe explodiert im Zuschauerbereich. Sekunden später detoniert eine zweite. Foto: Reuters

Boston ist nach dem Anschlag auf den berühmten Marathon bis ins Mark erschüttert.

Boston. Stunden nach der letzten Explosion zittert die Stadt noch immer. Zerstört ist die Freude eines Tages, von dem man eigentlich erwarten konnte, dass er ein Tag unbekümmerten Feierns würde. Dieselben lebendigen Straßen, die über Jahrzehnte von den Turnschuhen der Boston-Marathon-Läufer und der Feiernden abgewetzt wurden, liegen Montagnacht aufgerissen und tot da. Sirenen zerschneiden die Stille, während Spezialeinheiten der Polizei und Krankenwagen hin und her eilen zwischen der Ziellinie und den vielen Krankenhäusern.

Drei Tote und 176 – vielleicht auch mehr – Verletzte meldet der „Boston Globe“. Und diese Zahlen können nicht annähernd ausdrücken, wie tief es die in Erschöpfung, Schmerz und Furcht versunkene Stadt im Innern getroffen hat.

„Es ist wirklich, wirklich hart für alle unsere Mitarbeiter, denn so etwas haben wir noch niemals gesehen“, sagt Hana Dubski, Assistenzärztin am Brigham and Women’s Hospital, wo sie und ihre Kollegen Verletzungen behandeln – von kleinen Verbrennungen bis zu Beinen, die von Granatsplittern so zerfetzt sind, dass sie amputiert werden müssen.

Der Fotograf John Tlumacki verfolgt gerade das Rennen, als die Bomben hochgehen. „Ich sah abgerissene Beine, abgerissene Füße, Menschen auf Menschen getürmt“, erzählt er CNN.

Nationalgarde rückt ein

Die Nationalgarde rückt in die Boylston Street ein, eine von Bostons Hauptverkehrsadern. Vier Stunden nach Beginn des Rennens, zu einem Zeitpunkt also, wenn gewöhnlich viele Läufer die Ziellinie erreichen, wird diese Zone von der Explosion heimgesucht. Die Anwesenheit der Soldaten ist doppelt bedeutungsschwer, da die Stadt nicht nur den Marathon feiert, sondern auch den „Patriots’ Day“, den Tag der Pa­trioten. Diesen Feiertag gibt es nur im Staat Massachusetts. Er erinnert an die Schlachten von Lexington und Concord, als im Jahr 1775 die amerikanischen Revolutionäre zum ersten Mal die Waffen gegen die britische Kolonialmacht erhoben.

Bostons Schulen bleiben am „Patriots’ Day“ geschlossen, genauso wie viele Geschäfte. Die Einwohner strömen zu den Aussichtspunkten entlang der 42 Kilometer langen Strecke, um die Läufer aus aller Welt zu sehen. Die Menschenmengen verschwinden am Montagabend, das übliche Feiern ist vergessen.

Ich habe abgerissene Beine und abgerissene Füße gesehen.

John Tlumacki
Erhöhte Sicherheitsstufe: Wenige Stunden nach dem Anschlag wurde auch das Weiße Haus in Washington weiträumig abgesperrt. Foto: RTS
Erhöhte Sicherheitsstufe: Wenige Stunden nach dem Anschlag wurde auch das Weiße Haus in Washington weiträumig abgesperrt. Foto: RTS
Geschockt: Ein Mädchen hat das Blutbad gesehen. Foto: Ruters
Geschockt: Ein Mädchen hat das Blutbad gesehen. Foto: Ruters
Grauen auf der Zielgerade
Explosion: Bill Iffrig (78) stürzt, erreicht später aber das Ziel. DAPD
Explosion: Bill Iffrig (78) stürzt, erreicht später aber das Ziel. DAPD

Stichwort

Boston-Marathon

Die Teilnahme am Boston-Marathon ist für viele Ausdauersportler die Krönung: Seit 1897 findet er statt und ist damit der traditionsreichste Marathon außerhalb Olympischer Spiele. Veranstaltungstag ist stets der „Patriots’ Day“, an dem die örtliche Bevölkerung des Unabhängigkeitskriegs gegen die Engländer im Jahr 1775 gedenkt.