Für das Projekt Europa kämpfen

Der ehemalige deutsche Kanzler Gerhard Schröder hielt ein leidenschaftliches Plädoyer für ein starkes Europa.
Reform und Modernisierung forderte Gerhard Schröder für die Europäische Union.
Bregenz. Sieben Jahre war der Niedersachse Gerhard Schröder deutscher Bundeskanzler. Er wagte die Koalition mit den Grünen und er brachte die Agenda 2010 auf den Weg, von der seine Amtsnachfolgerin Angela Merkel sagt: „Ich möchte Bundeskanzler Schröder ganz persönlich dafür danken, dass er mit seiner Agenda 2010 mutig und entschlossen eine Tür aufgestoßen hat, eine Tür zu Reformen, und dass er die Agenda gegen Widerstände durchgesetzt hat.“
Nach dem Ausscheiden aus seinen politischen Ämtern ist Gerhard Schröder wieder als selbstständiger Rechtsanwalt in Hannover tätig und hat zahlreiche Ehrenämter übernommen, unter anderem als Schirmherr von „Projet Aladdin“, das von der Fondation pour la Mémoire de la Shoah initiiert wurde.
Zudem ist er Vorsitzender des Aktionärsausschusses der europäisch-russischen Gesellschaft Nord Stream AG, die eine Gaspipeline zwischen Westeuropa und Russland betreibt.
Beim Wirtschaftsforum in Bregenz analysierte Schröder messerscharf die Situation Europas in einem globalen Umfeld. Er warnte davor, durch die falschen oder fehlende Entscheidungen ins Hintertreffen zu geraten. „Die Krise hat sich entschärft, überwunden ist sie aber nicht“, so der ehemalige deutsche Bundeskanzler im Festspielhaus. Das politische Gebilde EU dürfe nicht statisch bleiben, es brauche ständige Veränderung, „Reform und Modernisierung der Gesellschaft, der Wirtschaft und der Institutionen, auch wenn das schmerzt“.
Ökonomische Zwerge
Schröder spricht von einer multipolaren Welt, in der Europa seinen Platz finden müsse. Zwei Pole seien erkennbar, nämlich die USA, und zwar „ungeachtet des Unvermögens, das eigene Budget zu konsolidieren“, und Asien unter der Führung von China. Europas Länder seien, egal wie man es betrachte, „ökonomische und politische Zwerge“, und sowohl die Bevölkerung als auch die wirtschaftliche Bedeutung nähmen kontinuierlich ab.
„Wir müssen unsere Volkswirtschaften konkurrenzfähig halten und die Sozialsysteme müssen gut, aber bezahlbar bleiben.“ Solange allerdings Großbritannien gemeinsame Maßnahmen blockiere, sehe er wenig Möglichkeiten einer Weiterentwicklung. In der Euro-Politik drängt Schröder auf „mehr Koordination“ der teilnehmenden Länder und ist durchaus für ein „Europa der zwei Geschwindigkeiten“, denn „die Länder, die nicht im Euroraum sind, dürfen die stärkere Integration des Euroraums nicht verhindern. Man kann nicht sagen, ich will nicht dabei sein, aber ich will mitentscheiden.“
Er drängt in seiner Rede auf eine stärkere gemeinsame Politik, um global gehört zu werden: „Wir brauchen einen europäischen Finanzminister.“ Auch das europäische Parlament gehöre gestärkt, das Gremium der Regierungschefs hingegen „muss Kompetenzen abgeben“. Um die Rolle zu stärken, empfiehlt er eine stärkere Anbindung Russlands an die EU: „Wir brauchen die Ressourcen und den Markt.“ Außerdem müsse die Türkei EU-Mitglied werden. „Wir sollten aufpassen, dass die Türkei noch Mitglied der EU werden will.“ Sein abschließendes Plädoyer: „Wir müssen für das Projekt Europa kämpfen. Alle.“
Europäische Regierungschefs müssen Kompetenzen abgeben, das Parlament muss gestärkt werden.
Gerhard Schröder
Zur Person
Gerhard Schröder
Deutscher Bundeskanzler in den Jahren1998 bis 2005
Geboren: 7. April 1944
Ausbildung: Einzelhandelskaufmann, Studium der Rechtswissenschaften
Laufbahn: Bundestagsabgeordneter, Ministerpräsident in Niedersachsen, SPD-Parteivorsitzender