Plädoyer für Entschleunigung

Staaten und Banken gehören entflochten, die Wirtschaft entschleunigt.
Bregenz. Gabor Steingart ist Verleger und Geschäftsführer der Verlagsgruppe Handelsblatt in Deutschland, Journalist und Buchautor. Und als solcher analysiert er die wirtschaftlichen Zusammenhänge von Banken und Staaten und beobachtet die Entwicklungen des Systems – mit großer Besorgnis.
In seinen Büchern hat Steingart schon vor Lehman die Finanzkrise vorausgesagt. Und auch jetzt verspricht der Blick hinter die Kulissen der Volkswirtschaften dieser Welt wenig Verheißungsvolles. „Denn das Wirtschaftswachstum, das wir jetzt haben, ist nicht real, sondern an den Kapitalmärkten dazugekauft. Das, was wir sehen, die schönen Gebäude hier in Bregenz, die tolle Infrastruktur, ist nicht die Realität, sondern die gespeicherte Vergangenheit“, erklärte Steingart am Nachmittag des 30. Wirtschaftsforums.
Doch den Brand würden wir Menschen nicht sehen, weil er mit künstlichem Geld zu löschen versucht werde. Die Realität hingegen bringt Verformungen der Wirtschaft zutage: „Früher war der Sozialstaat für die Armen der Gesellschaft da. Heute wird das Geld aus der Mitte gesammelt und geht nicht nach unten, sondern nach oben“, gibt der 51-Jährige zu bedenken und führt aus: „Wir leben heute in einer Welt, in der die Banken die Staaten retten und die Staaten die Banken retten.“
Sieben Billionen Euro hätte man seit der Lehman-Pleite in die Märkte gepumpt. Dieses Geld sei aber nicht in der Wirtschaft angekommen. „Die Rettungspolitik rettet nicht, sondern verklärt die Wirklichkeit.“
70 Prozent der Staatsschulden seien nach Lehman entstanden; die Banken seien mit den Staaten zu eng verwoben. „Da sind zwei miteinander ins Bett gegangen, die das besser nicht getan hätten.“
Angefangen habe das beim ehemaligen US-Präsidenten Bill Clinton. Der rief die Wall Street zusammen und forderte ein 100-Punkte-Programm für Immobilien. Clinton stand kurz vor der Wahl und war der Meinung, dass jedem US-Bürger sein Eigenheim finanziert gehörte. Er forderte die Entfesselung der Banken und eine Deregulierung. Der Ausgang der Geschichte ist bekannt: Clinton gewann die Wahlen, und die Immobilien-Blase war entstanden.
Später habe Bush dieses Programm noch gesteigert: „Es gab danach noch viele 100-Punkte-Programme“, so Steingart.
Drei Schritte zur Lösung
Die Profiteure aber waren die Banken. Als Beispiel nennt Steingart die Deutsche Bank. „Während Lehman ist die Bilanzsumme der Deutschen Bank auf 100 Prozent der Deutschen Wirtschaft angewachsen. Ackermann hat mehr Gewinn erwirtschaftet als seine acht Vorgänger.“ Seither sei die Welt der Lösung nicht nähergekommen, denn sie habe „die Wirtschaft noch nicht neu gedacht“. Steingart hätte einen Lösungsvorschlag:
» Die Einrichtung eines Untersuchungsausschusses, um alle 100-Punkte-Programme aufzuklären.
» Die Entflechtung von Staaten und Banken und das Abschmelzen der Bankbilanzen. „Die Entflechtung funktionierte bereits nach 1945.“
» Die Entschleunigung der Wirtschaft. „Die Leute sehnen sich nicht nach einer 90-Stunden-Woche. Und das ist nicht esoterisch gemeint.“
Und wenn das nichts nützt: „Würde ich das Budgetrecht dem Volk zurückgeben.“
Wären die Banken und die Staaten lieber mal nicht miteinander ins Bett gegangen.
Gabor Steingart
Zur Person
Gabor Steingart
Journalist mit unternehmerischem Ehrgeiz
Geboren: 14. Juni 1962
Ausbildung: Politik und Volkswirtschaft studiert, Journalistenschule
Familie: verheiratet, drei Kinder