Eine neue Qualität des islamistischen Terrors
Neuer Dschihadismus sucht sich weiche, aber klar definierte Ziele.
Schwarzach. Das Attentat auf die Redaktion von „Charlie Hebdo“ zeigt eine neue Qualität des islamistischen Terrors, erinnert jedoch in seiner Symbolhaftigkeit fatal an die Anschläge vom 11. September 2001. Nahmen die Attentäter der Al-Kaida damals mit dem Weißen Haus, dem Pentagon und dem World Trade Center westliche Symbole für staatliche Demokratie, militärische Verantwortung und wirtschaftliches Wohlergehen ins Fadenkreuz, so zielten sie am Mittwoch auf die Meinungs- und Pressefreiheit – wieder ein Symbol, diesmal jenes für eine freie und offene Gesellschaft. Noch dazu in Frankreich, im Land von Voltaire, in der Wiege der Aufklärung.
Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit sind wie so vieles andere blinde Flecken im menschenverachtenden Weltbild von fanatischen Extremisten, die sich in Paris allerdings nicht mehr wie bisher üblich als Selbstmordattentäter direkt ins vermeintliche Paradies gebombt und auf ihrem erhofften Weg zu Allah gleich noch ein paar missliebige Opfer mitgenommen haben. Der Anschlag in Paris war anders.
Klarer Vergeltungsschlag
Islamistische Anschläge waren in Europa bisher zumeist gegen scheinbar willkürliche Ziele gerichtet, neben den Attentätern starben meist zufällig anwesende Menschen. Dabei war der Terrorakt selbst die Antwort auf die Frage nach dem Warum. Diesmal jedoch wurden die Opfer gezielt ausgewählt und das Warum erklärt sich mit den von den Ermordeten in deren Satiremagazin veröffentlichten islam-kritischen Beiträgen. Es war dies erstmals ein Vergeltungsschlag, der gleichermaßen auf ein Symbol der freien Gesellschaft wie auf die konkreten Urheber der in den Augen der Attentäter verwerflichen Aussagen zielte. Und vor allem: Die Terroristen wollten am Leben bleiben – wie befürchtet, um weitere Anschläge zu verüben.
Das aktuelle Attentat zeigt noch weitere Besonderheiten: Die mitgeführten Waffen, der Umgang damit, die kaltblütige Vorgehensweise und die penible Planung deuten darauf hin, dass die Mörder unter Kriegsbedingungen ausgebildet worden sind – laut Sicherheitsbehörden jedenfalls aufseiten der Al-Kaida im Jemen, vielleicht auch aufseiten des aus dieser Terrororganisation hervorgegangenen Islamischen Staats (IS) in Syrien oder im Irak. Und es wurde kein stark bewachtes Ziel ausgesucht, bei dem die Attentäter mit hohem Risiko erschossen worden wären.
Steigende Opferzahlen
Dies alles zeigt einen neuen Dschihadismus, der sich gegen sogenannte weiche Ziele richtet und von kleinen, gut ausgebildeten Gruppen getragen wird – in Europa wird man sich auf eine Zunahme solcher Anschläge und auf eine steigende Zahl von Opfern einstellen müssen, besonders in Ländern, die sich an der westlichen Militär-Allianz gegen den IS beteiligen.
Die beabsichtigten Begleiterscheinungen des jüngsten Anschlags unterscheiden sich jedoch nicht von den bisher begangenen Attentaten: Angst und Schrecken zu verbreiten, die Zivilgesellschaft zu destabilisieren und staatliche Repressionen zu provozieren, damit die Terroristen ihren Fanatismus schließlich rechtfertigen und dadurch ihre Anhängerschaft weiter vergrößern können. Gelingt ihnen das, haben die selbst ernannten Gotteskrieger ihre erste große Schlacht in Europa gewonnen.
Andreas Feiertag