Wir müssen die Freiheit pflegen
„Nein! Unsere Freiheit könnt ihr nicht ermorden“, titelte der „Berliner Kurier“. Und Tausende Menschen skandieren: „Wir sind Charlie!“ Zumindest die erste Antwort auf den Anschlag von Paris ist also im Sinne der Opfer und gleichzeitig auch eine starke Botschaft gegen die Täter: Sie werden ihr Ziel, die Errungenschaften der Aufklärung zu zerstören, nicht erreichen. Wir werden das verhindern!
Doch Vorsicht, der Kampf ist noch lange nicht geschlagen. Die Gegner sind entschlossen. Wir müssen unsere Entschlossenheit erst unter Beweis stellen. Das ist eine Aufgabe, zumal wir zunächst wieder ein Verständnis dafür entwickeln müssen, was echte Freiheit bedeutet. Zu schlampig sind wir in der Vergangenheit damit umgegangen. Davon zu reden und sich als „Charlie Hebdo“-Sympathisant wie ein Schutzschild davor zu stellen, ist gut, aber noch nicht alles.
Freiheit ist mehr als nur tun und lassen dürfen, wonach einem gerade ist. Auch Meinungsfreiheit bedeutet in diesem Sinne nicht nur Geschwätz, sondern vor allem auch Wachsamkeit gegenüber all jenen, die die Freiheit infrage stellen; sei es, indem sie Vorgaben diktieren oder Diskussionen unterbinden wollen. „Charlie Hebdo“ hat derartige Kräfte immer wieder satirisch, beißend und kompromisslos aufs Korn genommen. So ähnlich, wie es die Zeitschrift „Titanic“ in Deutschland tut.
Dass es in Österreich kein Medium gibt, das damit vergleichbar wäre, ist bedauerlich. Provokationen, die sich so ergeben würden, würden uns dazu zwingen, immer wieder aufs Neue ein Gefühl dafür zu entwickeln, was Freiheit bedeutet. Aber vielleicht tragen nun ja die jüngsten Entwicklungen zur Bewusstseinsbildung bei. Zu hoffen ist es jedenfalls.
Gerade jetzt ist es wichtig, Medien wie „Charlie Hebdo“ und Karikaturen als Stilelement zu pflegen. Auch wenn sie wehtun und Grenzen überschreiten. Es ist notwendig. Zumal die Terroristen genau das abwürgen wollen.
Wegweisend dafür, worum es geht, ist ein Ausspruch, der die Einstellung des französischen Aufklärers Voltaire zu einem Widersacher dokumentiert: „Ich verachte Ihre Meinung, aber ich gäbe mein Leben dafür, dass Sie sie sagen dürfen.“ Damit wird eine Haltung zum Ausdruck gebracht, die der Freiheit erst ihre volle Bedeutung verleiht: Jedem muss es möglich sein, sich wie auch immer zu äußern – so lange er sich gegenüber anderen ebenfalls an diesen Grundsatz hält.
Die Freiheit zu hüten, darf im Übrigen nicht dem Staat überlassen werden. Die Gesellschaft, jeder Bürger, jede Bürgerin ist es, die dafür verantwortlich sind. Der Staat ist ausschließlich dafür zuständig, Streitfälle vor Gericht zu schlichten und die Rahmenbedingungen zu sichern, also vor allem auch gegen Feinde der Freiheit vorzugehen, die wie in Paris zu den Waffen greifen.
johannes.huber@vorarlbergernachrichten.at, 05572/501-0
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