Die „heiligen Kühe“ nicht geopfert

Spezial / 15.03.2015 • 20:20 Uhr
Schelling: Bankgeheimnis nur teilweise gelockert, 13. und 14. Monatsgehalt ausgeklammert.  Foto: Reuters
Schelling: Bankgeheimnis nur teilweise gelockert, 13. und 14. Monatsgehalt ausgeklammert. Foto: Reuters

Schelling: Parteienfinanzierung zu kürzen, wäre gutes Signal. Pen-sionskonzept steht an.

Wien. Nach der Reform ist vor der Reform: Das trifft auf Finanzminister Hans Jörg Schelling (ÖVP) zu. Die Entlastung der Arbeitnehmer sei nur ein erster Schritt gewesen, sagt er den VN. Weitere strukturelle Maßnahmen müssten folgen. Um die kalte Progression künftig abzufedern, schließt er eine Indexanpassung der Steuertarifstufen nicht aus. Auch wünscht er sich ein weiteres Paket für 2019 und 2020. Unter anderem sollen dann die Lohnnebenkosten gesenkt werden. Sein Wunschvolumen dafür beträgt mindestens eine Milliarde Euro. Auch spricht ihm zufolge nichts gegen eine Kürzung der Parteienfinanzierung.

Das Entlastungsvolumen der Steuerreform liegt für Arbeitnehmer bei fast fünf Milliarden Euro. Laut dem ehemaligen IHS-Chef Christian Keuschnigg ist das aber lediglich eine „notwendige Korrektur der kalten Progression“. Diese fresse die aktuelle Entlastung wieder in vier Jahren auf. Kommt dann ein nächstes Paket?

Schelling: Ich habe angeboten, 2019 und 2020 um zwei weitere Milliarden zu entlasten. Aber nur wenn entsprechende Voraussetzungen geschaffen sind. Deshalb ist diese Steuerreform zu Recht eine Tarifentlastung. Sie ist ein erster Schritt. Wir müssen jetzt in vielen Bereichen ernsthafte Reformen angehen, um Spielraum zu schaffen. Wir müssen auch die Frage beantworten, ob wir nicht durch eine Modernisierung und Entschlackung des Steuerrechts eine Veränderung der Steuerstrukturen mittelfristig zu einer besseren Lösung kommen.

Wird es damit eine Indexanpassung der Tarifstufen geben, die die kalte Progression abschaffen könnte?

Schelling: Das ist ein Vorschlag. Wir haben unsere Steuerexperten beauftragt, dass sie sich ein Bild davon machen, welche Maßnahmen man setzen kann, um die kalte Progression zumindest abzufedern, auch wenn man sie möglicherweise nicht ganz beseitigen kann.

Eine Indexanpassung ist aber realistisch?

Schelling: Es ist eine Variante. Es gibt bereits Indexbindungen. Bei den Erhöhungen der Pensionen sind wir zum Beispiel an den Verbraucherpreisindex per Gesetz gebunden. Das halte ich aber noch nicht für die letzte Weisheit.

Sie haben die zwei Milliarden erwähnt, die 2019/2020 kommen sollen. Statt der im ursprünglichen ÖVP-Konzept vorgesehenen 800 Millionen Euro für die Wirtschaft sind im Kompromiss mit der SPÖ nur 200 Millionen geblieben. Wird die Wirtschaft in der zweiten Etappe mehr profitieren?

Schelling: Es ist jedenfalls so angedacht, dass wir in einer zweiten Etappe zu einer deutlichen Reduzierung der Lohnnebenkosten kommen.

Mit welcher Summe kann die Wirtschaft dafür rechnen?

Schelling: Es ist keine fixe Zusage: Aber meine Meinung ist, dass eine Lohnnebenkostenentlastung nicht sichtbar und nicht greifbar wird, wenn sie weniger als eine Milliarde beinhaltet.

Trägt das die SPÖ mit?

Schelling: Es gibt hier grundsätzlich positive Signale. Aber ich pflege einen Verhandlungsstil an den Tag zu legen, der möglichst wenig Öffentlichkeit hat.

Wurden die Verhandlungen zur Steuerreform zu öffentlich geführt?

Schelling: Ja. Da muss sich aber jeder selbst ein bisschen an der Nase nehmen. Auch ich habe von Anfang an mit aller Deutlichkeit erklärt: Mit mir gibt es keine Vermögen-, Erbschaft- und Schenkungsteuer. Was aber sehr, sehr unangenehm war, ist, dass in der Endphase der Verhandlungen so gut wie jedes Detail an die Öffentlichkeit gespielt wurde, Dinge, die zum Teil noch nicht abgeschlossen waren. Ich nehme an, dass der eine oder andere das Verhandlungsgegenüber unter Druck setzen wollte. Ich glaube, sie haben unterschätzt, dass ich mich nicht unter Druck setzen lasse.

Öffentlich diskutiert hat die Regierung auch schon das Pensionssystem. Wird das die nächste Gretchenfrage für die Regierung?

Schelling: Das glaube ich nicht. Ich glaube, dass das Bewusstsein bei allen Beteiligten da ist, dass wir mittel- und langfristig mit den Pensionen ein Riesen- problem bekommen.

SPÖ und ÖVP stimmen aber in ihren Plänen noch nicht überein. Stichwort: Pensionsautomatik.

Schelling: Es ist allen bewusst, dass da was geschehen muss. Dass es nicht übertrieben populär ist, mag sein. Aber wir müssen jetzt Maßnahmen setzen, dass auch für die nächsten Generationen die Pensionen gesichert sind.

Gibt es schon einen Zeitplan?

Schelling: Nach meiner Vorstellung sollte ein Grundkonzept bis Jahresende am Tisch liegen.

Zurück zur Steuerreform: Sie wollen in der öffentlichen Verwaltung im ersten Jahr 600 Millionen Euro einsparen. Soll das alles über den Kostendämpfungspfad passieren?

Schelling: Ja. In der Prognose haben wir eine Kostensteigerung von 2,7 Prozent pro Jahr zu erwarten. Wir sind mit den Ländern übereingekommen, auf 1,7 Prozent herunterzugehen. Bis 2020 sind das kumuliert drei Milliarden Euro weniger Ausgaben. Es sind viele Maßnahmen möglich, aber es macht keinen Sinn, dass wir den Bundesländern von oben herab vorschreiben, wo sie zu sparen haben.

Würde hier auch eine Steuerhoheit helfen?

Schelling: Ich sehe es positiv, dass es uns gelungen ist, im Rahmen der Finanzausgleichsverhandlungen dazu ergebnisoffen eine Arbeitsgruppe einzusetzen. Der Finanzausgleich soll nach Aufgaben orientiert sein. Wir müssen die Verantwortlichkeit und Zuständigkeit in eine Hand bekommen. Es kann nicht sein, dass einer bestellt und der andere zahlt. Ich bin ganz offen in der Frage autonomer Steuern. Wenn es aber zu einem ruinösen Steuerwettbewerb zwischen den Bundesländern kommt und ihnen dann das Geld ausgeht, stehe ich nicht mit frischem Geld zur Verfügung.

Ein weiteres Thema, das Sie in Angriff nehmen wollen, sind Einsparungen bei Förderungen. Konkrete Ansätze wurden aber noch nicht präsentiert.

Schelling: Das Konzept sieht vor, dass wir eine Maßnahme setzen, über die wir Förderungen über die nächsten fünf Jahre einfrieren. Das beträgt in etwa ein Volumen von 500 Millionen Euro. Es ist nun die Aufgabe der Ministerien, zu sagen, wo sie das zu realisieren gedenken.

Neos-Parteichef Matthias Strolz forderte, dass bei der Parteienfinanzierung gekürzt wird. Können Sie sich vorstellen, dass hier der Rotstift angesetzt wird?

Schelling: Ich kann mir das vorstellen. Ich hätte keine dramatische, sondern als reine Signalwirkung auch gerne Überlegungen dazu angestellt. Es ist kurz diskutiert worden, aber zu keiner Lösung gekommen.

An wem ist das gescheitert?

Schelling: An mir nicht.

Diskutiert, aber auch nicht umgesetzt, wurde ein Ende der Steuerbegünstigungen für das 13. und 14. Monatsgehalt. Wieso kann man diese „heilige Kuh“ nicht opfern?

Schelling: Ganz ehrlich gesagt, so genau kann ich die Motivlagen manchmal auch nicht nachvollziehen. Aber es gäbe viele Möglichkeiten, hier etwas zu tun. Es ist eine „heilige Kuh“. Das muss man offen sagen. Derzeit ist niemand bereit, das Thema anzugehen. Wir haben es ausgeklammert, weil wir nicht an dieser Frage eine große Steuerreform scheitern lassen wollen.

Abschließend zum Bankgeheimnis: Es soll bei Unternehmen gelockert werden. Kann man sagen, dass es in naher Zukunft Geschichte sein wird?

Schelling: Nein. Wir reden hier nicht vom Bankgeheimnis, sondern ausschließlich von der Möglichkeit der Finanzbehörde, eine Einschaumöglichkeit im Prüfverfahren zu haben. Bisher haben wir diese nur, wenn ein Finanzstrafverfahren eingeleitet wird und ein gerichtlicher Beschluss vorliegt. Es ist heute schon so, dass unter Zustimmung des Betroffenen hineingeschaut wird. Aber auch das Bankgeheimnis ist eine solche „heilige Kuh“, die international nicht auf große, positive Resonanz stößt. Alle sagen, dass Österreich in Wahrheit ein Land ist, das sich so den Weg für Geldwäsche, Schwarzgeld etc. aufmacht.

Wenn es nach Ihnen ginge, würde das Bankgeheimnis fallen?

Schelling: Damit habe ich mich nicht eingehend befasst. Einerseits wird uns aber immer vorgehalten, wir würden zu wenig gegen Schwarzgeld und Betrug tun, zum Beispiel mit der Schweiz und gewissen Abkommen. Geht es dann aber um Österreich, darf man nichts machen. Das ist keine faire Diskussion.

Sie haben es unterschätzt. Ich lasse mich nicht unter Druck setzen.

Hans Jörg Schelling
Schelling: Bankgehiemnis nur teilweise gelockert, 13. und 14. Monatsgehalt ausgeklammert. Foto: Reuters
Schelling: Bankgehiemnis nur teilweise gelockert, 13. und 14. Monatsgehalt ausgeklammert. Foto: Reuters

Zur Person

Hans Jörg Schelling

Seit 1. 9. 2014 Finanzminister

Geboren: 27.12.1953 in Hohenems

Ausbildung: Matura am BG Feldkirch, BWL-Studium in Linz

Frühere Funktionen: Aufsichtsrat der Post und Telekom, Vorsitzender der ÖVAG, Obmann der AUVA, Vorsitzender der Sozialversicherungsträger