“Steuerreform ist eine Korrektur der kalten Progression”

Ökonom Keuschnigg über das Konzept der Regierung und was sie verabsäumt hat.
Wien. (VN-ebi) Ein Befreiungsschlag war die Steuerreform nicht: „Was jetzt gemacht wurde, ist das Minimum, nämlich den Steuerzahlern das zurückzugeben, was ihnen die Inflation seit 2009 durch die kalte Progression genommen hat“, analysiert Ökonom Christian Keuschnigg. „Die kalte Progression ist ein Missstand des österreichischen Steuersystems, der zu automatischen Steuererhöhungen für alle führt, ohne dass irgendein demokratischer Beschluss notwendig wäre“, erklärt der ehemalige Chef des Instituts für Höhere Studien. Das Aufkommen der Lohnsteuer übertreffe inzwischen sogar jenes der Mehrwertsteuer. Bezahlt wird das von den Arbeitnehmern. Ihre Steuerbelastung erhöht sich über die kalte Progression, weil die Löhne zwar jedes Jahr steigen, die für die Lohnsteuer maßgeblichen Einkommensgrenzen aber gleich bleiben. Damit rücken von Jahr zu Jahr immer mehr Arbeitnehmer in höhere Steuerklassen vor – ein Teil ihrer Lohnsteigerungen wird somit vom Finanzamt abgeschöpft.
Dem könnte ein Ende gesetzt werden, indem die Tarifstufen an die jährliche Steigerung angepasst, also indexiert, werden, sagt Keuschnigg: „Mit dieser Maßnahme würden die Arbeitnehmer nur dann in eine höhere Progressionsstufe rutschen, wenn ihr persönlicher Lohnzuwachs höher als im Durchschnitt der Bevölkerung ist. Geschieht dies nicht, wird es in spätestens vier Jahren wieder eine neue Steuerreform brauchen“, fürchtet der Experte. Bis dahin hätte die kalte Progression nämlich die nun beschlossene Entlastung wieder aufgefressen.
Am meisten vermisst der Ökonom aber Maßnahmen zur langfristigen Reduktion der Steuersätze. Dafür müsse die Regierung einerseits den Spielraum auf der Ausgabenseite schaffen. Möglichkeiten sieht Keuschnigg aber auch in der Beseitigung von Steuervergünstigungen, wie etwa der Pendlerpauschale. Ihm zufolge wäre es zudem sinnvoll, das 13. und 14. Gehalt so zu besteuern, „wie alle anderen Monatsgehälter auch“. Die Bürger hätten weiterhin ihr Urlaubs- und Weihnachtsgeld. Durch den Wegfall der Begünstigung aber könnten die Steuersätze ohne großen Aufwand zwischen vier und sechs Prozent weiter gesenkt werden.
Das für Keuschnigg dritte große Thema betrifft
die Mehrwertsteuerbegünstigungen. Hier müsse aufgeräumt werden. Einige Sätze etwa für Saatgut und Museumskarten werden im Zuge der Steuerreform zwar von aktuell zehn auf 13 Prozent angehoben. Ginge es nach Keuschnigg, sollte die 20-prozentige Mehrwertsteuer aber „möglichst ohne Ausnahme auf alles“ angewendet werden: „Die reduzierten Sätze für Güter des täglichen Bedarfs sollen ärmere Haushalte entlasten. Aber dieselben Güter werden auch von Haushalten mit höheren Einkommen nachgefragt, die diese Förderung absolut nicht brauchen.“ Die höheren Einnahmen, die sich durch den Wegfall der Begünstigungen ergeben würden, könnten somit gezielter zur Entlastung der unteren Einkommensgruppen verwendet werden, glaubt Keuschnigg. Im Steuerreformkonzept hat die Regierung zwar angekündigt, Niedrigverdienern einen Teil ihrer Sozialversicherung – bis zu 400 Euro – über eine Negativsteuer zurückzuerstatten. Dieser Betrag könnte mit dem Wegfall von Steuerbegünstigungen laut dem Experten erhöht werden.
Bei den Mehrwertsteuerbegünstigungen muss aufgeräumt werden.
Christian Keuschnigg