Als Vorarlberg in den Fluten versank

Spezial / 13.08.2015 • 21:35 Uhr
Land unter. Rettungskräfte brachten am Tag nach dem Hochwasser von den Wassermassen eingeschlossene Bewohner in Bezau in Sicherheit.
Land unter. Rettungskräfte brachten am Tag nach dem Hochwasser von den Wassermassen eingeschlossene Bewohner in Bezau in Sicherheit.

Hochwasser 2005: Nach tagelangem Dauerregen nahm die Katastrophe ihren Lauf.

Schwarzach. „Vorarlberg unter Wasser – weite Teile des Landes verwüstet“: Die VN-Schlagzeile vom Mittwoch, 24. August 2005, fasst in wenigen Worten zusammen, was der tagelange Dauerregen angerichtet hatte. Vorarlberg wurde von einem Jahrhunderthochwasser heimgesucht. So zerstörerisch wie zuletzt 1910. Flüsse waren über die Ufer getreten, Muren gingen ab. Zwei Menschen starben, elf wurden verletzt.

Das Hochwasser hatte sich abgezeichnet. Der VN-Wetterbericht am Wochenende vor der Katastrophe warnte vor Überflutungen und Muren im Fall von anhaltendem Niederschlag. So kam es dann auch. Erste Bäche traten bereits am Montag über die Ufer. „Der Boden nimmt nichts mehr auf“, wird Ulrich Welte, damaliger Landesfeuerwehrkommandant, zitiert. Die Bregenzerach stieg pro Stunde um einen halben Meter.

Einsätze im Minutentakt

Den ersten Einsatz löste ein kleineres Gerinne aus. Der Koblacher Kanal ging über. Das war um 14.14 Uhr. Das Minutenprotokoll der Feuerwehr dokumentiert, wie sich die Lage immer mehr zugespitzt hat. 15.10 Uhr: Hochwasser in Röns. 16.04 Emsbach über die Ufer. Kleine, harmlose Bäche verwandelten sich in reißende Flüsse. Überall im Land. 1000 Feuerwehrleute standen im Dauereinsatz. Der Kampf mit Sandsäcken und schwerem Gerät wurde immer aussichtsloser.

Die Nacht vom 22. auf den 23. August werden viele Menschen im Land nie mehr vergessen. „Wir hatten eine Viertelstunde Zeit, um das Nötigste zusammenzu-packen“, erinnert sich Elisa Simon (69). Sie musste wie 50 andere im Göfner Schildried die überflutete Siedlung fluchtartig verlassen.

Es waren die Stunden, als überall im Land Häuser, Wohnungen und Firmengebäude geflutet, als Autos weggeschwemmt wurden. Straßen- und Schienenverbindungen wurden durch Muren gekappt, mehrere Ortschaften von der Außenwelt abgeschnitten. Die Zerstörung war enorm. Das gesamte Ausmaß war erst Tage danach abzusehen. Das Land bezifferte die materiellen Schäden später mit 180 Millionen Euro.

Die Spur der Verwüstung zog sich praktisch durchs ganze Land. Besonders arg hatte es den hinteren Bregenzerwald getroffen. Auch weite Teile von Lech standen unter Wasser. Laternsertal, Klosteral, Gargellental, Silbertal und der Walgau waren ebenfalls stark in Mitleidenschaft gezogen.

Spontane Nachbarschaftshilfe

In den schweren Stunden rückte das Land zusammen. In den Katastrophengebieten leisteten die Menschen einander spontan Nachbarschaftshilfe. Tausende spendeten Geld für die Opfer. Das Schicksal der Menschen hat auch außerhalb der Landesgrenzen betroffen gemacht. Allein 1,2 Millionen Euro an Spenden kamen aus Niederösterreich. Am Ende summierten sich die Spenden auf über 3,7 Millionen Euro.

Das große Aufräumen nach der Katastrophe hat den Hochwasseropfern und den Helfern alles abverlangt. Keller, Wohnungen, Straßen, Plätze – überall Schlamm.

Aus dem ganzen Land kamen nun Freiwillige, packten mit an. In den am stärksten betroffenen Regionen war man über jede helfende Hand dankbar. Pioniere des Bundesheeres bahnten Wege in von der Außenwelt abgeschnittene Gebiete. Selbst Flüchtlinge halfen tatkräftig mit.

Auch in den Monaten danach waren die Anstrengungen enorm. Rasch konnten die meisten Schäden an Wohnhäusern, Industrieanlagen und der Infrastruktur beseitigt werden. Auch Sofortmaßnahmen an Bächen und Flüssen wurden umgehend in Angriff genommen. „Die Katastrophe hat uns auf schmerzliche Weise vor Augen geführt, dass es absoluten Hochwasserschutz nicht gibt“, sagt Landeshauptmann Markus Wallner. Aber es sei die Verantwortung des Landes, weiter in den Schutz vor Naturgefahren zu investieren.

Seit dem Jahrhunderthochwasser vor zehn Jahren sind 300 Millionen Euro in den Hochwasserschutz geflossen. Und das ist erst der Anfang. Für die nächsten fünf Jahre sind weitere 200 Millionen Euro budgetiert.

Wir hatten eine Viertelstunde Zeit, um das Nötigste zu packen.

Elisa Simon (69), Göfis
Naturgewalt. Tagelanger Dauerregen ließ die Flüsse ansteigen. Die Bregenzerach (Bild) stieg am 22. August 2005 pro Stunde um einen halben Meter.
Naturgewalt. Tagelanger Dauerregen ließ die Flüsse ansteigen. Die Bregenzerach (Bild) stieg am 22. August 2005 pro Stunde um einen halben Meter.
Zerstörung. Die Spur der Verwüstung zog sich durchs ganze Land. Am Tag nach der Flut zeigten Luftbilder das Ausmaß der Zerstörung – wie etwa in Lech.
Zerstörung.
Die Spur der Verwüstung zog sich durchs ganze Land. Am Tag nach der Flut zeigten Luftbilder das Ausmaß der Zerstörung – wie etwa in Lech.
Schäden. Das Hochwasser hatte weite Teile des Landes verwüstet. In 64 Gemeinden wurden Schäden in einer Gesamthöhe von 180 Millionen Euro gemeldet.
Schäden. Das Hochwasser hatte weite Teile des Landes verwüstet. In 64 Gemeinden wurden Schäden in einer Gesamthöhe von 180 Millionen Euro gemeldet.
Aufräumen. Die Hilfe lief augenblicklich an. Erst waren es Nachbarn, später kamen Menschen aus ganz Vorarlberg, wie Mathilde Studer (Bild), um mit anzupacken.
Aufräumen.
Die Hilfe lief augenblicklich an. Erst waren es Nachbarn, später kamen Menschen aus ganz Vorarlberg, wie Mathilde Studer (Bild), um mit anzupacken.