Herzliche Solidarität
Als es an jenem Dienstag frühmorgens langsam dämmerte, war das Ausmaß bei Weitem noch nicht abschätzbar. Halbwegs überblickt haben es alle erst Stunden später. Aus Tausenden Einzelschicksalen rund um vollgelaufene Keller, weggespülte Brücken, zerstörte Häuser, verklauste Bäche und abgeschnittene Ortschaften wurde das größte Hochwasser in der jüngeren Geschichte Vorarlbergs. Zwei Menschen haben ihr Leben verloren. Die Verbindung zwischen Tirol und Vorarlberg war tagelang unterbrochen.
Wir brauchten einen Hubschrauber, um nach Lech und in den hinteren Bregenzerwald zu kommen, um das ganze Ausmaß der Katastrophe zu erfassen. Schon was wir aus der Luft sahen, ließ uns erschaudern. Unser Vorarlberg, so viele schöne Plätze, verwüstet in nur einer Nacht.
Heute stehen nicht mehr Schlamm und Verlust im Vordergrund. Das wohlig-warme Gefühl von nie enden wollender Solidarität bleibt in nachhaltiger Erinnerung. Freundschaften von bis dahin wildfremden Mitbürgern stammen aus den Tagen nach dem 23. August 2005. Hilfsbereite Seelen, die plötzlich da waren, eine Schaufel dabei hatten und anpackten.
Wer nicht körperlich mithelfen konnte, fand andere Wege. Die bereits am ersten Tag spontan ins Leben gerufene Spendenaktion von „Ma hilft“ machte den Anfang, alle Hilfsorganisationen beteiligten sich Hand in Hand. Innerhalb von wenigen Tagen waren mehr als 3,5 Millionen Euro auf dem Vorarlberger Spendenkonto. Doch Solidarität endet nicht am Arlbergpass, wie das über eine Million Euro schwere Danke der Niederösterreicher für die Großzügigkeit der Vorarlberger beim Donau-Hochwasser 2002 zeigt. Die hochwassergeplagten Niederösterreicher haben in den Herzen vieler Vorarlberger einen besonderen Stellenwert.
Besondere Hochachtung gebührt allen, die vor zehn Jahren einen Teil ihres Lebens in den dreckigen Fluten verloren haben – und trotzdem wieder aufgestanden sind, sich zurückgekämpft haben. Unglaublich viel Kraft ist vonnöten, sich nicht unterkriegen zu lassen. Heute sind die Wunden wohl noch spür-, aber nicht mehr sichtbar. Es fühlt sich wunderbar an, wenn in der eigenen Not wildfremde Menschen einfach Nächstenliebe sprechen lassen und sich über Gebühr solidarisch zeigen.
Wir haben heute genügend Möglichkeiten, diese Solidarität erneut zu zeigen. Sei es in Syrien, Kos, Lampedusa, Traiskirchen, der Götzner Tennishalle und der Dornbirner Kerzenfabrik.
Solidarität endet nicht am Arlbergpass.
Heute sind die Wunden wohl noch spür-, aber nicht mehr sichtbar.
gerold.riedmann@vorarlbergernachrichten.at, Twitter: @geroldriedmann, Tel. 05572/501-320
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