“Wahl erinnert an Weinskandal”

Spezial / 30.06.2016 • 19:48 Uhr
"Wahl erinnert an Weinskandal"

Fischer hofft, dass aus den Verhandlungen zur Wahlanfechtung Lehren gezogen werden.

Wien. In einer Woche beendet Bundespräsident Heinz Fischer seine zwölfjährige Amtszeit. Im Interview mit den VN und der TT appelliert er an die Regierung, die Asyl-notverordnung nicht nur auf Verdacht zu erlassen.

Mit den aktuellen Umbrüchen und Krisen entsteht der Eindruck, dass mit Ihrem Abschied als Bundespräsident auch ein Abschied von einem sterbenden System vollzogen wird.

Fischer: Das ist mir viel zu drastisch formuliert. Ich sehe kein sterbendes System, ich sehe Österreich auch nicht auf der Schwelle zur Dritten Republik. Aber es stimmt, es haben sich viele Probleme aufgetürmt, die zu großen Baustellen geworden sind. Es gibt den Krieg in Syrien mit all den bekannten Folgen, wir sind mit anwachsendem Terrorismus konfrontiert, die Arbeitslosigkeit steigt. Jetzt kommt der Austritt Großbritanniens aus der EU hinzu. Hier muss man sich fragen, ob bei solchen Themen mit einer Volksabstimmung der beste Weg in die Zukunft gefunden werden kann.

Kam die direkte Demokratie falsch zum Einsatz?

Fischer: Ich bin Befürworter einer guten Mischung aus repräsentativer und direkter Demokratie. Wir haben in Österreich eine direkte Demokratie bei der Wahl des Bundespräsidenten oder in Form einer Volksabstimmung, wie wir sie beim AKW Zwentendorf hatten oder einer Volksbefragung wie bei der Wehrpflicht. Hinzu kommt die direkte Demokratie auf Gemeindeebene. Wenn es jedoch einer relativ kleinen Gruppe, die bestimmte Interessen verfolgt, möglich ist, eine Volksabstimmung zu erzwingen, dann ist die Gefahr eines Missbrauchs gegeben, – in dem Sinne, dass ein vermeintliches Sachthema als Vehikel verwendet wird, um Emotionen anzufachen.

Würden Sie die österreichische Regelung als ideal bewerten?

Fischer: Im Wesentlichen schon. Wenn man etwas daran ändern wollte, müsste man sorgfältig vorgehen und behutsam an den Schrauben drehen. Das Funktionieren der Demokratie ist ein sehr sensibler Bereich.

Das provoziert die Frage nach dem Ausbau des Parlamentarismus, der nur schleppend vorangeht.

Fischer: Als Parlamentarier war ich immer für die Weiterentwicklung des Parlamentarismus. In meiner aktiven Zeit wurden die Minderheitenrechte gestärkt, die Fragestunde eingeführt, die Volksanwaltschaft geschaffen, die „Aktuelle Stunde“ vereinbart, etc. Diesen Weg muss man fortsetzen.

Mit der direkten Demokratie berufen sich viele rechtspopulistische Parteien auf das Volk. Zugleich geht damit eine Elite-kritik einher.

Fischer: Dass das Volk als Demos, also das Staatsvolk in seiner Gesamtheit, in den politischen Prozess eingebunden werden muss, steht außer Zweifel. Aber wir wissen aus traurigen Erfahrungen des 20. Jahrhunderts, dass das Volk auch in manipulativer Weise missbraucht werden kann, indem man es als Alibi verwendet. Das erlebten wir bei der extremen Rechten und bei der extremen Linken. Der Nationalsozialismus hat vorgegeben, das deutsche Volk zu repräsentieren. Auf der anderen Seite entstanden sogenannte „Volksdemokratien“, die sich als brutale Diktaturen entpuppt haben. Das Volk in seiner Gesamtheit ist der entscheidende Träger der Willensbildung. In Abwandlung eines Lueger-Zitats darf es aber nie heißen: Wer das Volk ist, bestimme ich. Da müssen wir wachsam sein.

Das heißt: Wenn eine Partei vorgibt, im Namen des Volkes zu sprechen, ist Vorsicht geboten?

Fischer: In der Verfassung steht mit Recht, dass eine Vielzahl von Parteien ein wesentlicher Bestandteil der Demokratie ist. Sobald eine Partei behauptet, wir sind das Volk, wir vertreten alle, also sind andere Parteien und Meinungen überflüssig, bewegen wir uns in eine gefährliche Sackgasse.

Unter den Brexit-Befürwortern warfen viele der EU mangelnde Demokratie vor.

Fischer: Dieser Vorwurf ist nicht von der Hand zu weisen. Bis heute ist es schwierig, die vorhandenen Demokratiedefizite in der EU auszugleichen.

Muss sich der Rat der Regierungschefs zurücknehmen?

Fischer: Das Problem des Rates und anderer europäischer Institutionen besteht unter anderem darin, dass es noch keine voll entwickelte gesamteuropäische Demokratie gibt.

Muss wieder mehr über die Subsidiarität gesprochen werden?

Fischer: Der frühere EU-Kommissar Franz Fischler meinte, es wäre ein guter Rat an Brüssel, sich kompakter um die zentralen Themen zu kümmern und wirklich klare Vorgaben zu machen und Nebenthemen eher zu dezentralisieren. Dem kann ich zustimmen.

Derzeit laufen die Verhandlungen zur Anfechtung der Hofburg-Stichwahl. Wie ging es Ihnen als Beobachter mit den Schlampereien – Manipulationen wurden nicht nachgewiesen –, die passiert sind?

Fischer: Mir ist es sehr schlecht gegangen, als ich gelesen und erfahren habe, wie die Auszählung der Wahlkartenstimmen in manchen Wahlbezirken abgelaufen ist. Das darf nicht sein. Ich bin weit davon entfernt, das zu verharmlosen. Ich wäre erleichtert, wenn das ohne Wahlwiederholung repariert werden könnte. Es wäre aber keine Staatskrise, sollte der Verfassungsgerichtshof entscheiden, dass die Wahl wegen dieser Regelverstöße wiederholt werden muss. Es wäre bedauerlich und unangenehm. Die Entscheidung muss aber – wie immer sie auch lautet – respektiert werden.

Welche Schlüsse müssen daraus gezogen werden?

Fischer: Vielleicht ist es wie beim Weinskandal vor 30 Jahren, als wir zunächst geschockt waren, wie leichtfertig viele mit den Vorschriften des Lebensmittelrechtes umgegangen sind. Eine harte Reaktion auf den Skandal hatte dann zur Folge, dass der Wein in Österreich heute eine besonders gute Qualität hat. Wie immer der Verfassungsgerichtshof entscheidet, das Gerichtsverfahren wird sich auf den Ablauf künftiger Wahlen positiv auswirken.

Am System der Briefwahlen sollte man festhalten?

Fischer: Die Briefwahl hat sich in Europa bewährt. Sie ist geeignet, die Wahlbeteiligung zu erhöhen. Es besteht kein Zweifel, dass man die Briefwahl so durchführen kann, dass sie über jeden Zweifel erhaben ist.

Sie waren immer ein Skeptiker der Asylobergrenze. Hat sich Ihre Sichtweise dazu geändert?

Fischer: Ich bediene mich der Terminologie des Ministerrates, wo ein Richtwert und keine fixe Obergrenze beschlossen wurde. Außerdem wurden Vorbereitungen getroffen, die es ermöglichen, zu diesem Problembereich eine Verordnung zu erlassen. Diese soll restriktive Maßnahmen erlauben, wenn die Sicherheit des Landes und die öffentliche Ordnung gefährdet und unsere staatlichen Strukturen in bedenklicher Weise überlastet sind. Die Regierung muss den Zeitpunkt, zu dem diese Tatbestände erfüllt sein sollten, gewissenhaft und auf Basis exakter Kriterien feststellen. Es kann keine Verordnung sein, die man auf Verdacht oder auf Vorrat erlässt.

Die aktuelle Arbeitsmarktsituation allein würde die Verordnung also nicht rechtfertigen?

Fischer: Richtig. Die Arbeitsmarktsituation ist nicht der einzige Punkt und daher würde sie allein die Verordnung nicht rechtfertigen.

Am 8. Juli geht Ihre Amtszeit zu Ende. Haben Sie für den 9. Juli schon etwas geplant?

Fischer: Wenn am 9. Juli schönes Wetter ist, möchte ich irgendwo in den Voralpen unterwegs sein.

Bis heute ist es schwierig, die vorhandenen Demokratiedefizite in der EU auszugleichen.

Heinz Fischer
Heinz Fischer in seinem Büro in der Hofburg: Im Interview erklärt er, dass die direkte Demokratie nicht als Vehikel verwendet werden darf, um Emotionen anzufachen.  FOTO: B. HOlzner
Heinz Fischer in seinem Büro in der Hofburg: Im Interview erklärt er, dass die direkte Demokratie nicht als Vehikel verwendet werden darf, um Emotionen anzufachen.  FOTO: B. HOlzner