“Ich habe das Vorarlberger Bäcker-Gen”

Starkoch Eckart Witzigmann über seine Hohenemser Wurzeln, Karrierehöhepunkte und Pläne.
Schwarzach, München 1978 eröffnete er sein legendäres Restaurant „Aubergine“ am Münchener Maximiliansplatz. Im Jahr darauf wurde er als erster Koch Deutschlands und als erst dritter Koch außerhalb Frankreichs mit drei Michelin-Sternen ausgezeichnet. 1994 adelte ihn der Gourmet-Führer „Gault Millau“ zum „Koch des Jahrhunderts“ – eine Ehre, die zuvor nur Paul Bocuse, Joël Robuchon und Frédy Girardet zuteil wurde. Die „New York Times“ bezeichnete ihn als „Koch der Könige und Götter“ und seine Schüler gaben ihm den Namen „Die Mutter aller Köche“. Am Donnerstag wurde Eckart Witzigmann (76) in seiner Geburtsstadt Hohenems ausgezeichnet (siehe Seite C10).
Herr Witzigmann, Sie wurden in Hohenems geboren. Wie viel Vorarlberger steckt noch in Ihnen?
Witzigmann Im Gegensatz zu meinen Kollegen habe ich einen kleinen Vorteil: das Vorarlberger Bäcker-Gen. Kochen und Backen liegt bei uns in der ganzen Familie, und beides ist für mich ganz stark mit Hohenems verbunden. Mein Großvater, mein Onkel Josef waren selbstständige gestandene Bäckermeister, und mein Cousin Herbert Bäcker- und Konditormeister. Wenn ich als Kind meinen Urlaub in Hohenems verbracht habe, bin ich gerne mitgefahren beim Ausliefern und war in der Backstube. Ich schaute den Konditoren und Bäckern über die Schultern. Diese verschiedenen Brote, zum Beispiel die Schweizer Laibe, und wie es gerochen hat morgens, wenn man reingekommen ist. Die feuchte Wärme der Backstube, der Duft nach Teig und frisch Gebackenem in der Radetzkystraße gehören für mich zu den vertrauten Gerüchen meiner Kindheit. Meine Mutter hat nicht nur die Vorarlberger Küche gepflegt, sie war generell eine ausgezeichnete Köchin und war mit der gesamten bürgerlichen Küche jener Zeit vertraut. Was sie trotz schmalem Budget auf den Teller gebracht hat, fordert mir bis heute allerhöchsten Respekt ab. Ich bin der festen Überzeugung, dass die klassischen Gerichte mehr Aufmerksam haben sollten als die Moden, die jede Saison durchs Dorf getrieben werden und von denen ein Jahr später keiner mehr spricht.
Was verbinden Sie mit der Vorarlberger Küche?
Witzigmann Die hohe Qualität der Produkte, der Fleiß und die harte Arbeit der Produzenten, die Voraussetzung für eine gute Küche sind. Daher auch mein Credo: Der Star in der Küche ist das Produkt. Und der Koch ist sein Diener, der das Beste aus dem Produkt herausholt. Das beherrschte meine Mutter perfekt.
Sie haben die höchsten Auszeichnungen der Gastronomiewelt erhalten. Was war für Sie persönlich der Höhepunkt Ihrer Karriere?
Witzigmann Der dritte Michelin-Stern. Dieser Tag zählt zu den entscheidenden meines Lebens, sieht man einmal von den Geburten meiner beiden Kinder Véronique und Max ab. Etwas Beispielloses erreicht zu haben. Und nachdem Kochen in dieser Kategorie immer eine Mannschaftsleistung ist, waren wir in diesem Moment zu recht auch alle stolz, so stelle ich mir auch einen Olympiasieg oder eine Weltmeisterschaft vor, mehr ging in diesem Moment nicht. Mit dem Abstand der Jahrzehnte sehe ich langsam die historische Dimension, etwas auf den Weg gebracht, eine Lawine losgetreten zu haben, die immer noch nicht im Tal angekommen ist.
Haben Sie jemals wirklich schlechte Kritik bekommen?
Witzigmann Ich glaube die Kritik ist mit meiner Person und meiner Arbeit im Großen und Ganzen gerecht umgegangen, da will ich nicht klagen. Aber als ich zu Zeiten des „Aubergine“ angefangen habe, Gerichte mit regionalen Produkten auf die Speisekarte zu setzen, musste ich kräftige Prügel von den Fachleuten einstecken, die Gäste selbst waren begeistert. Da kann immer eine Diskrepanz entstehen zwischen zufriedenen Gästen und nörgelnden Kritikern, eine Tatsache die sich vor allem beim subventionierten Kulturbetrieb sehr deutlich beobachten lässt. Und wie dort mancher Kritiker dem Dirigenten vorhält, was er alles verkehrt gemacht hat, so lamentieren bei uns manche Herrschaften, was der Chef am Herd alles nicht richtig auf die Reihe bekommen hat. Hier wie da ist es relativ leicht, Kritik zu üben und ich glaube, über Geschmack lässt sich noch vortrefflicher streiten als über Lautstärke und Tempi.
Was, glauben Sie, ist das Geheimnis Ihres Erfolgs?
Witzigmann Der Erfolg hat ja bekanntlich immer viele Väter, aber in meinem Geschäft ist die Perfektion ein ganz wesentlicher Bestandteil des Erfolgs. Und damit meine ich nicht die ewige Suche nach der Perfektion, die nie ihr Ziel erreicht, sondern die Suche danach, alles noch weiter zu verbessern und zu optimieren. Man kann immer alles noch einen Kick besser machen.
Sie haben viele Hauben- und Sterne-Köche ausgebildet, darunter den einen oder anderen Vorarlberger. Welcher Ihrer Schüler hat Sie im Nachhinein am meisten überrascht?
Witzigmann Ich bin stolz auf meine ehemaligen Schüler und Mitarbeiter, stolz darauf, dass sie in diesem Geschäft erfolgreich sind, aber auch stolz darauf, dass sie teilweise einen eigenen Stil entwickelt haben und eine weitere Generation von Köchen ausgebildet haben. Nachdem ich aber nicht die gesamte österreichische Kochszene überblicken kann, will ich da niemanden hervorheben. Aber ganz allgemein lässt sich sagen, dass in Österreich große Talente nachwachsen und bereits eine fantastische Zahl von Köchen und Köchinnen am Herd steht, die auch international keinen Vergleich scheuen müssen. Frauen sind im Vormarsch.
Was macht für Sie einen richtig guten Koch aus?
Witzigmann Ich kann hier nicht für alle meine Kollegen sprechen, aber Kochen – ob privat oder als Beruf – setzt eine gewisse Leidenschaft, Passion, Kreativität, handwerkliche Perfektion, Belastbarkeit, Durchsetzungsvermögen und immer das optimale Produkt auf dem Tisch voraus, Neugierde und Ausdauer. Und wer das alles nicht mitbringt, sollte lieber einen anderen Beruf oder ein anderes Hobby wählen. Und dann sollte man auch das, was man tut mit aller Konsequenz verfolgen und sich nicht so schnell vom Weg abbringen lassen.
Seit Ihrem Rückzug vom Herd im Jahr 1993 sind Sie als Berater und Kochbuchautor tätig. Wie oft stehen Sie heute noch in der Küche?
Witzigmann Jeden Tag, wenn ich zu Hause bin und für mich und meine Lebensgefährtin koche.
Gibt es noch Projekte, die sie unbedingt umsetzen möchten?
Witzigmann Ich bin mir bewusst, dass ich mich in der letzten Lebensphase befinde, mit 76 Jahren ist vieles Vergangenheit und die Zukunft wird täglich kürzer. Trotzdem blicke ich immer voller Spannung in die Zukunft, ich bin immer noch neugierig und werde nie aufhören zu lernen und Fragen zu stellen. Wer in unserem Geschäft glaubt, mehr geht nicht, hat schon im Ansatz verloren. Wenn es meine Gesundheit zulässt, werde ich mich immer wieder einmischen, nachfragen und den Finger in die Wunde legen. VN-ger
Zur Person
Eckart Witzigmann
Geboren 4. Juli 1941 in Hohenems
Wohnort München
Hobbys Ich habe das große Glück, dass bei mir Beruf und Hobby ansatzlos ineinander übergehen.
Lieblingsspeise Ich habe kein Lieblingsgericht im herkömmlichen Sinne. Bei mir hängt das immer davon ab, wo auf der Welt ich mich gerade befinde, wie ist das Wetter, wie ist mein Gemütszustand, etc. Prinzipiell hängt mein Herz mehr an den einfachen Dingen
Familie Lebensgefährtin Nicola Schnelldorfer, ein Sohn und eine Tochter aus erster Ehe