Ein Ruck geht durch Österreich
Eine schnelle Rechtsruck-Schlagzeile aus Wien gehört zum Pflichtprogramm der anwesenden Weltpresse. Das schreibt sich leicht und gibt hohe Aufmerksamkeit. Tatsächlich ist es ja auch so, dass das politische Österreich heute nach rechts gerückt ist. Allein, der Kurswechsel in den Köpfen fand bereits im Spätherbst 2015 statt, nun wurde das Ergebnis realisiert.
Ich erinnere mich gut, als Sebastian Kurz als Vertreter einer Regierungspartei beim Vorarlberger Wirtschaftsforum vor genau zwei Jahren erstmals bis dahin kaum gehörte kritische Worte zu den unkontrollierbaren Flüchtlingsbewegungen formuliert hat. Kurz hat geschafft, worin der bisherige Bundeskanzler Christian Kern scheiterte: seine eigene Frische auf die Partei zu übertragen. Und seiner Linie treu zu bleiben: heute ist die ÖVP keine verzopfte Bündepartei mit zahlreichen Querschlägern mehr, sondern eine hochprofessionell geführte Bewegung – jedenfalls wirkt sie so.
Kern wirkte zwar gefasst, sucht aber die Schuld für das SP-Wahlergebnis (auf Faymann-Niveau!) bei den Medien. Könnte es sein, dass es einen herben Disconnect zwischen der Politik im Elfenbeinturm, pardon Bundeskanzleramt, und dem Gefühl auf der Straße gab?
Einen noch größeren Widerspruch zwischen Realität und Wunschdenken gab es nur im grünen Lager. Diese hielten ihren Kurs doch tatsächlich bis gestern, 17 Uhr, für goldrichtig, verteidigten ihn vehement. Nun haben die Grünen am eigenen Leib erfahren, wie selbstzerstörerisch ihre basisdemokratische Struktur ist. Sie müssen sich vorwerfen lassen, Politik sehenden Auges völlig vorbei an den Menschen gemacht zu haben, auch an ihren eigenen Wählern – und ihren Mandataren. Einer, der jedenfalls in den vergangenen 20 Jahren Erfolgsfaktor der grünen Bewegung in Vorarlberg war, Johannes Rauch, schrieb gestern als erste Reaktion schnell „Wir haben verstanden“. Immer gut. Nur zwängt sich die Frage auf: Was denn?
Ich habe jedenfalls verstanden, dass die Grünen mit Peter Pilz dem falschen Mörder auf der Spur sind – und dass ihr Gewicht auch in Vorarlberg als Regierungspartei massiv gelitten hat nach diesem Absturz ins Bodenlose. 10 Monate nach dem Einzug ihres Kandidaten in die Hofburg fliegt die Partei aus dem Nationalrat, hat bestenfalls noch Exotenstatus.
Wie geht’s nun weiter mit der erstarkten Volkspartei-Bewegung? Vor allem die FPÖ als möglicher Regierungspartner ist nun das größte Risiko für Sebastian Kurz – übrigens auch für Österreich. Die Blauen werden es genießen, jede Formulierung in einem Koalitionsabkommen mit den Türkisen zu verhandeln – und frech und forsch Posten zu fordern. Beim ersten Mal Schwarz-Blau war es auch auf die mangelnde Qualität des damaligen Personals zurückzuführen, dass Korruption und Fehlentscheidungen Einzug hielten.
Sebastian Kurz muss nun liefern. Und wenn Beobachter vom Rechtsruck sprechen, ist das weniger entscheidend als dass die Wähler wollen, dass ein Ruck durch Österreich geht.
„Könnte es sein, dass es einen herben Disconnect zwischen der Politik im Elfenbeinturm und dem Gefühl auf der Straße gab?“
Gerold Riedmann
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Gerold Riedmann ist Chefredakteur der Vorarlberger Nachrichten.
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