„Red Bull braucht nur noch verwalten“

Trotz der klaren Lage in der Formel 1 schließt Ex-Pilot und TV-Kommentator Christian Klien Überraschungen nicht aus.
Mogyoród Als Fachkommentator für den heimischen Rechteinhaber ServusTV ist Christian Klien auch fast 13 Jahre nach seinem letzten Renneinsatz in der Königsklasse – der auch der letzte eines österreichischen Fahrers war – mit der Formel 1 eng verbunden. Im VN-Gespräch zieht der 40-jährige Hohenemser vor dem Grand Prix von Ungarn am Sonntag (Start 15 Uhr, ORF 1, live) eine erste Zwischenbilanz.
Was macht Max Verstappen heuer so stark?
Klien Max ist viel reifer und abgebrühter geworden, er ist kein Hitzkopf mehr wie früher. Er bekommt jede Situation in den Griff. Dazu spielt ihm das perfekte Auto von Red Bull in die Karten, weil es von Saisonbeginn an überlegen war. Andererseits macht aber auch Max den RB 19 stark. Da kommt auch Checo (Anm. d. Red.: Teamkollege Pérez) nicht heran.
Ist Weltmeister Verstappen derzeit überhaupt zu schlagen?
Klien Es ist aus meiner Sicht noch immer alles möglich! Es sind noch zwölf Rennen zu fahren. Das Reglement lässt immer noch große Sprünge zu, wie man anfangs der Saison bei Aston Martin gesehen hat, oder kürzlich bei McLaren. Dennoch: Red Bull hat einen komfortablen Vorsprung herausgeholt und kann ihn nun aus meiner Sicht verwalten.
Warum ist Red Bull trotz der reduzierten Windkanalzeit (Anm. d. Red.: Strafe aus der Budgetüberschreitung 2021) derart überlegen?
Klien Weil das Auto schon von der Basis her ausgezeichnet ist. Die reduzierte Zeit im Windkanal wird sich erst in der zweiten Saisonhälfte auswirken können – aber da ist das Polster zur Konkurrenz groß genug.
Red Bull Racing bekommt immer neue Konkurrenz als erste Verfolger. Spielt die fehlende Konstanz der Gegner Red Bull in die Hände?
Klien Genau. Und dadurch ist auch Pérez noch immer Zweiter in der WM, obwohl es einige Male nicht für ihn lief. Aber die Konkurrenten verschenkten zu viele Punkte. Hinter Red Bull geht es ja relativ eng zu – die wechselnden Kräfteverhältnisse sind auch streckenspezifisch erklärbar, was für Abwechslung unter den Verfolgern sorgt. Außer bei Red Bull – die sind überall stark.
Was erwarten Sie von Daniel Ricciardo beim Comeback im AlphaTauri?
Klien Das wird in der Tat spannend zu sehen, was er aus der Chance machen wird. Mit Daniel bekommt auch Yuki Tsunoda eine neue interne Messlatte. Yuki machte schon letzte Saison Fortschritte und kam nahe an Gasly heran. Das war wiederum heuer für Nyck de Vries als Neuling ein Nachteil. Es kann aber auch für Ricciardo schwierig werden, denn der AlphaTauri hat Schwächen beim Einlenken in die Kurven und ist nicht stabil auf der Bremse – genau das, was Daniel schon bei McLaren nicht behagte. Die Frage ist, wie kommt er damit jetzt zurecht? Oder kann das Auto doch mehr, als die jungen Fahrer herausholten? Auf jeden Fall steht bei AlphaTauri das gesamte Team unter ziemlichem Druck.
Wer war für Sie bisher eine positive und wer eine negative Überraschung der Saison?
Klien Zu den positiven würde ich schon Aston Martin und Alonso zählen. Mercedes hat sich erfangen, McLaren wurde zuletzt wieder stark. Hülkenberg bewies, was er kann, brauchte keine Anlaufzeit und war von Beginn an gut dabei, wie seine Quali-Leistungen zeigen. Im Rennen kann der Haas halt nicht so gut mithalten. Negativ würde ich Ferrari beurteilen, die Scuderia ist irgendwo im Mittelfeld. Und Alpine ist noch dahinter, auch da hat man sich viel mehr erwartet.
Hat die Show in der Formel 1 den Sport überholt?
Klien Ich denke, die Show ist schon in Ordnung. Wichtig ist, dass die DNA der Formel 1 nicht verloren geht. Man sollte auch nicht zu viel an den Regeln herumdoktern, z. B. mit neuen Quali-Schemen. Der Sprint ist schon okay, aber den Zuschauer interessiert nicht, wie viele Reifensätze jetzt erlaubt sind oder nicht. Die Leistung muss immer noch entscheidend sein.

