
Die Formel 1 hat die Kurve gekriegt
Klien, Brändle, Capito diskutierten in Schwarzenberg über Zukunft, Tradition, Nachhaltigkeit in der Königsklasse.
Spannender Abend rund um den Motorsport mit Schwerpunkt Königsklasse in Schwarzenberg. „Quo vadis Formel 1“ hieß das Thema, zudem der Rotary Club Bregenzerwald zur Diskussion mit Experten wie Christian Klien, Philipp Brändle, Jost Capito und Christoph Lampert eingeladen hatte. Die Formel 1 habe eine Zukunft vor sich, war der allgemeine Tenor.

Wo steht die Formel 1, wo geht es hin? „Die Formel 1 ist immer noch auf dem Weg nach oben“, ordnet Jost Capito, Motorsportkapazunder mit Erfahrung bei den Rennställen Sauber, McLaren, Williams als wichtigste Rennsportserie der Welt ein. „Es gab einen Durchhänger vor ein paar Jahren. Dass sich die heutige Jugend nicht mehr für die Formel 1 interessiere, das stimmt so nicht mehr.“ Die Netflix-Serie „Drive to survive“ habe die Wende gebracht, die Formel 1 habe die Kurve gekriegt. „Speziell in den USA, in England, aber auch Südamerika sei das Interesse gestiegen. „Der Fan-Bereich wurde komplett umgekrempelt, jetzt sind viele im Alter zwischen 18 und 35 Jahren dazugekommen, die neues Interesse zeigen“, sagt Capito. „Ich habe selbst in einer Serie über Williams mitgewirkt, es ist sehr authentisch herübergekommen. Da wird eine Geschichte über die ganze Formel-1-Saison erzählt, so wie man es vorher nicht gekannt hat. Mit vielen Einblicken und Details abseits der Rennen, Fahrer und Teamchef sind zu Persönlichkeiten geworden. Das hat die Formel 1 gebraucht. In Amerika sind die Serien Nascar und Indycar im Verhältnis zur Formel 1 weit zurückgefallen“, weiß der 64-jährige Deutsche, der selbst Rennsport betrieben hat und unter anderem die Rallye Dakar gewinnen konnte. „Die Formel 1 ist immer noch auf dem Weg nach oben.“

Netflix verhilft zum Durchbruch
Neben Netflix seien auch die sozialen Netzwerke ein großer Treiber, sagt Klien, Vorarlberger Ex-Formel-1-Pilot und ServusTV-Kommentator. „Das hat man geöffnet. Zu den Zeiten von Bernie Ecclestone war gar nichts erlaubt, auch als die ersten Smartphones auf den Markt gekommen sind, durfte man nichts aus dem Paddock hinaustragen. Das sollte alles über die TV-Stationen passieren, die dafür bezahlt haben. Social Media erreicht jetzt viele jüngere Leute, die nicht nur den Rennfahrer Lando Norris sehen, sondern auch das Private dahinter sehen. Das hat einen ganz anderen Zugang zur Formel 1 gegeben. Es ist ein wahnsinniger Boom, speziell in Amerika. Wenn man früher nach Indianapolis gekommen ist, hat kein Hahn nach der Formel 1 gekräht, jetzt sind die Rennen voll mit Fans.“

Die Formel 1 sei auch technisch eine enorme Herausforderung, weiß Philipp Brändle, der ehemalige Aerodynamikchef bei Mercedes und ServusTV-Analyst. „Das ist die größte Spielwiese für einen Ingenieur, für einen Techniker. Es steckt mehr dahinter, als nur die Aerodynamik und der Motor, da braucht es alle Disziplinen, Anwälte, Wirtschaftsmagnaten, es ist großes Business geworden. Wenn man das Glück hat, bei einem renommierten Team zu sein, kann man sich sehr gut austoben, versuchen und probieren.“

„Die Formel 1 ist der Traum jedes Motorsportlers“, stellt Christoph Lampert, Bergchampion im Jahre 2023 mit lauter Rennsiegen, den Stellenwert der Serie außer Frage. „Dorthin zu kommen hat jeder vor Augen, nur ist es ein langer und harter Weg und nicht einfach.“ „Wir haben uns früher auf der Gokartstrecke gematcht“, erinnert sich Klien. „Heutzutage kann man schon den Kartsport kaum noch selber machen, kostet doch eine Saison rund 300.000 Euro.“ Richtig teuer wird es dann im Formel-1-Sport. „Entweder man hat dann das Geld von zu Hause oder über Sponsoren. Es ist immer krasser geworden.“ Capito unterstreicht, wie wichtig die Basis sei: „Eine der besten Veranstaltungen, die ich besucht habe, war ein Rasenmäherrennen in England. Es hat geregnet, man ist in verschiedenen Kategorien gefahren, wo man hinten auf dem Gerät sitzt. Was die an Technik machen, wie begeistert die mit ihren Familien den ganzen Tag da sind, das war für mich purer Motorsport und hat mir gut gefallen. Ohne das, was die machen, würde es die Formel 1 nicht geben.“

Capito, der in unterschiedlichsten Serien selbst gefahren ist oder im Management in allen Positionen gearbeitet hat, gab einen Einblick in die eigene Karriere. „Ich würde alles genauso wieder machen.“ Mit Porsche 1994 Le Mans zu gewinnen war ein Höhepunkt, die Paris-Dakar-Erfahrung Mitte der 1980er-Jahre unersetzlich. „Das zu gewinnen, war einmalig. Ohne sie wäre ich nie das geworden, was ich geworden bin. Da ist man 14.000 Kilometer und drei Wochen unterwegs. Wir waren zwei Unimogs, das ganze Team bestand aus vier Personen, Vater und Bruder sowie einem Mercedes-Mechaniker.“ Von der Essensbeschaffung über das Sponsoring, den Autoaufbau, bis hin zur Bürokratie ging das Organisationsprofil. „Wenn man alle Tätigkeiten selbst einmal gemacht hat, weiß man: Wenn ein Rad nicht funktioniert, bricht alles zusammen. Wenn das Essen nicht stimmt, dann gibt es keinen Erfolg. Wenn man das gesehen und mitgemacht hat, lernt man als Motorsportmanager, jede Arbeit von jedem Einzelnen zu schätzen, das spüren die Mitarbeiter auch. Das ist die Basis für ein erfolgreiches Team.“
„Wir haben alle klein angefangen, sind vom Kartsport durch viele Rennsportserien gegangen“, erzählt Klien. „Die Formel 1 ist die Spitze des Eisbergs, das populärste und auch medial größte Ereignis. Aber es gibt so viel Motorsport da draußen und Rennaktivitäten, die für mich als Fahrer genau so viel Spaß gemacht haben. Wie Le Mans oder Supercars in Australien, die bei den Insidern großen Stellenwert haben.“

Ist die Formel 1 Sport oder Unterhaltung? „Das ist schon sehr, sehr viel Sport dabei“, meint Klien. „Wenn man sieht, dass die Teams zwischen 800 bis 1000 Leute benötigen, um zwei Autos auf die Rennstrecke zu bringen, da steht der Wettbewerb immer noch im Vordergrund. Sobald die Visiere heruntergehen, zählt nur die Stoppuhr.“ Für Capito gehört die Unterhaltung dazu, „wie in jedem anderen Sport auch. Wer den besten Sport macht, der gewinnt auch.“

Das Thema Traditon sei für die Formel 1 wichtig, war der einhellige Tenor der Diskussionsrunde. Und Rennstrecken wie Monaco, Monza oder Spa, die in der Formel 1 im Kernmarkt Europa trotz großer Konkurrenz nicht wegzudenken sind, aber auch Rennställe wie Ferrari, Williams, Mercedes oder McLaren. Am Beispiel von Alpha Tauri, das seit dieser Woche neu Visa Cash App RB heißt, erläuterte Capito: „Ich denke, das ist eine Erscheinung auf Zeit. Wenn man gerade heute auf Social Media schaut, sind die Fans mehrheitlich gegen so eine Änderung. Ich habe mich so auf die Diskussion darüber mit Peter Bayer (Anm.: Geschäftsführer Visa Cash, er fehlte wegen einer Erkrankung) gefreut. Die Sponsoren können das anderes machen, auf eine bessere Art, und bekommen einen größeren Wert. Als ich zu Williams kam, war es für mich Voraussetzung, dass der Name erhalten bleibt. Man hätte dem Team die Seele herausgerissen. Die Mitarbeiter haben gesagt, wir fahren für den verstorbenen Frank Williams.“ Namen wie Ferrari oder McLaren würden nie verschwinden, glaubt Klien. „Im Fahrerlager heißt das Team immer noch Sauber, alle haben auch lange Toro Rosso gesagt. Das ist wie eingeschweißt, eine DNA, die Namen sind schon sehr wichtig.“

Die Königsklasse misst der Nachhaltigkeit künftig mehr Stellenwert bei. „Die Logistik ist in dieser Beziehung ein großes Thema“, nennt der Zürser Brändle eine Herausforderung. Man braucht Autos, Reifen, Werkzeuge, Zelte, Catering, dafür werden x Lkw-Züge von Rennen zu Rennen gekarrt. „Die Autoteile sollten länger verwenden werden dürfen. Nach Bahrain kann man die Flügel wegen des vielen Sandes gleich entsorgen.“ Capito wirft ein, dass Formel-1-Autos lediglich für sieben Prozent des CO2-Ausstoßes verantwortlich seien. „Die Logistik ist mit über 50 Prozent das größte Problem. Wir haben bei Williams entschieden, nicht mehr sechs Küchen in die Weltgeschichte zu verschicken. Eine wird von Amerika aus auf dem Landweg nach Kanada und Südamerika via Zug verschickt. Eine ist im Mittleren Osten, dadurch haben wir nicht nur CO2, sondern auch 400.000 Pfund (Anm.: 470.000 Euro) gespart. Eine Nachhaltungsstrategie, 2022 entwickelt, soll alles, was das Team betrifft, bis 2030 CO2-negativ sein. So langsam ziehen alle anderen Teams nach. Ab 2026 sind die Autos CO2 neutral unterwegs, 50 Prozent sind elektrisch. Bisher sind es 25 Prozent, der Rest wird über E-Fuels, also synthetische Kraftstoffe, eingespart.“ Nur elektrisch werde es in der Formel 1 nicht gehen, weiß Klien. „Dafür haben wir die E-Serie. Aber das Thema Hybrid in Zukunft wird gepusht.“ Capito glaubt, dass der Verbrennungsmotor nie ganz verschwinden werde. „Nirgends wird so schnell entwickelt wie in der Formel 1. Man darf sich nicht auf eine Technologie versteifen, es muss in den Zukunftstechnologien elektrisch, Wasserstoff und E-Fuels entwickelt werden. Die Formel 1 hat die effizientesten Motoren, die gehen immer noch in die Serie.“

Mit 24 Grand Prix, die im neuen Terminkalender stehen, sei der Plafond an Veranstaltungen erreicht, glaubt Klien. „Man muss aufpassen, dass der Zuschauer nicht übersättigt wird. 24 Mal Kitzbühel will auch keiner schauen. Zu meiner Zeit waren es 16 Rennen, aber es gab mehr Testfahrten, zum Beispiel in Spanien, der Aufwand war auch nicht kleiner.“ Capito sieht die Work-Live-Balance in der Formel 1 angekommen. „Selbst die jungen Renningenieure wollen keine 24 Rennen mehr machen. Weil die Scheidungsrate eh schon hoch genug ist. Wenn ich Renningenieur wäre, würde ich allerdings keinen anderen an mein Auto lassen.“

Wer sind die Favoriten in der neuen WM-Saison? Klien: „Ich hoffe, dass es heuer mehr Spannung gibt. In der zweiten Saisonhälfte war der technische Vorsprung von Überflieger Red Bull nicht mehr so groß. Die anderen Rennteams schauen genau hin, werben auch Techniker und Ingenieure ab, so geht das Wissen von einer Seite zur anderen. Ich glaube schon, dass aufgeschlossen wird. Red Bull fängt vielleicht am stärksten an. Das ist das Spannende vor der neuen Saison: Es werden neue Autos gebaut. Dann gibt es drei Tage Testfahrten vor dem ersten Rennen, und man weiß nie, wo man sitzt. Im Sinne des Sports hoffe ich, auch wenn ich als Österreicher für Red Bull bin, dass man enger zusammenkommt und wir mehrere Sieger haben.“ KO