“Lulus” großer Tag in der Achterbahn

Sport / 30.07.2024 • 20:07 Uhr
ABD0085_20240730 – PARIS – FRANKREICH: Lubjana Piovesana (AUT) jubelt am Dienstag, 30. Juli 2024, nach ihrer Begegnung gegen Ji-su Kim (KOR) in der bis 63kg Klasse im Judo anl. der olympischen Spiele in Paris. – FOTO: APA/GEORG HOCHMUTH
Lubjana Piovesana im Freudenrausch nach dem Sieg in der zweiten Runde. Apa

Lubjana Piovesana ist hauchdünn an einer Medaille vorbeigeschrammt. Die Lochauer Judoka verlor den Bronzekampf knapp.

Paris Diesen Tag wird Lubjana Piovesana ihr Leben lang nicht vergessen. Nicht nur, weil sie bei den Olympischen Spielen in Paris den fünften Platz belegt und die Medaille erst in letzter Sekunde verpasst hat. Der Geschichte der gebürtigen Britin, die 2023 die österreichische Staatsbürgerschaft erhalten hatte, kumulierte am 30. Juli in der Pariser Champs-de-Mars-Arena. Ihre Vergangenheit mit Misshandlungen durch britische Teammitglieder spielte dabei ebenso eine Rolle wie ihre Gegenwart an der Seite des Vorarlberger Judoka Laurin Böhler und ihre Zukunft, die sie im österreichischen Team nun zu den Olympischen Spielen nach Los Angeles bringen soll. In vier Jahren will die Lochauerin Gold gewinnen. Doch der Reihe nach.

ABD0043_20240730 – PARIS – FRANKREICH: Lubjana Piovesana (AUT) am Dienstag, 30. Juli 2024, wŠhrend ihrer Begegnung gegen Prisca Awiti Alcaraz (MEX) in der bis 63kg Klasse im Judo anl. der olympischen Spiele in Paris. – FOTO: APA/GEORG HOCHMUTH
ABD0043_20240730 – PARIS – FRANKREICH: Lubjana Piovesana (AUT) am Dienstag, 30. Juli 2024, wŠhrend ihrer Begegnung gegen Prisca Awiti Alcaraz (MEX) in der bis 63kg Klasse im Judo anl. der olympischen Spiele in Paris. – FOTO: APA/GEORG HOCHMUTH

Lockerer Einstieg

Lubjana Piovesana wurde in der ersten Runde des Bewerbes ihrer Favoritenrolle gegen die Kasachin Esmigul Kuyulova gerecht. Nach einer frühen Wertung ging die Neo-Österreicherin durch Waza-Ari mit 1:0 in Führung. Diesen Vorsprung verwaltete sie sicher zum Sieg. Die zweite Runde sollte anschließend deutlich schwieriger werden. Einerseits sportlich, weil ihre Gegnerin Lucy Renshall aus Großbritannien die Nummer elf der Welt ist, aber vor allem mental. Renshall war ebenso wie ihr Trainer Jamie Johnson in die Misshandlungen gegen Piovesana, die eine Untersuchung des Verbandes und Ermittlungen der Polizei zur Folge hatten, involviert und hatten sich bei späteren Treffen keineswegs einsichtig gezeigt.

OLYMPICS-2024-JUDO/
Im Infight mit Renshall. Am Ende mit Erfolg. Reuters

Piovesana war aber vorbereitet auf die Situation. Die Lochauerin hatte unzählige Gespräche mit ihrem Mentalbetreuer geführt und versuchte, dem Kampf keine allzu besondere Bedeutung beizumessen. Das gelang ihr ausgezeichnet. Die beiden Kontrahentinnen kannten sich in ihrer tiefen Abneigung gegeneinander dennoch sehr gut von zahlreichen gemeinsamen Trainingseinheiten und neutralisierten sich auf der Matte weitgehend. Das Duell musste im Golden Score entschieden werden. Schließlich gelang Piovesana doch noch der entscheidende Wurf und damit den Einzug ins Viertelfinale. Schadenfreude gegenüber ihrer Konkurrentin hegte sie anschließend keine. “Sie hat sich während des Kampfs mir gegenüber fair verhalten”, sagte die ÖOC-Sportlerin und musste gestehen, “nur den Trainer habe ich gerne verlieren gesehen.” Er soll beim vorangegangenen Aufeinandertreffen unschöne Dinge auf die Matte in Richtung seines Ex-Schützlings gerufen haben.

GEPA-20240730-101-142-0037
Piovesana gegen ihre Ex-Kollegin Renshall. Apa

Umstrittene Entscheidungen

Als das schwarze Kapitel der Vergangenheit abgehakt war, öffnete sich für Piovesana ein deutlich freundlicheres. Denn im Viertelfinale wartete mit der Mexikanerin Prisca Awiti Alcaraz eine weitere Ex-Teamkollegin. Awiti Alcaraz ist ebenfalls gebürtige Britin, sie hatte den Verband später aus sportlichen Gründen verlassen. Die 28-Jährige ist mit Piovesana freundschaftlich verbunden. Die Emotionen vor diesem Kampf waren komplett andere. “Psychisch war es ein völlig verrückter Wettbewerb”, gestand die Lochauerin nach ihren Kämpfen. Der Sieger des freundschaftlichen Duells hatte seinen Platz im Halbfinale sicher und war damit einer Medaille sehr nahe.

Die Entscheidung sollte sehr umstritten ausfallen. Während der regulären Kampfzeit wurde eine Wertung von Piovesana nach Videostudium wieder annulliert, dafür wurde eine Zweifelhafte für die Mexikanerin in der Verlängerung gezählt. Piovesanas Trainerin Yvonne Snir-Bönisch konnte die Entscheidung der Referees nicht nachvollziehen, doch die Sportlerin selbst haderte nicht mit ihrem Schicksal. Nach ihrer ersten Niederlage folgte der Umstieg in die Hoffnungsrunde, bei der mit zwei Siegen doch noch eine Bronzemedaille möglich schien.

ABD0045_20240730 – PARIS – FRANKREICH: Lubjana Piovesana (AUT) und Trainerin Yvonne Snir-Bšnisch am Dienstag, 30. Juli 2024, nach ihrer Begegnung gegen Prisca Awiti Alcaraz (MEX) in der bis 63kg Klasse im Judo anl. der olympischen Spiele in Paris. – FOTO: APA/GEORG HOCHMUTH
Lubjana Piovesana mit Trainerin Yvonne Snir-Bönisch. Apa

Ausgesperrt aus der Halle

Davor erlebte Piovesana eine Schrecksekunde. In der Mittagspause hatte sie ihre Freund Laurin Böhler getroffen, der zuvor im Zuschauerbereich mitgelitten hatte. Als sie wieder in den Athletenbereich zurückkehren wollte, ließen sie die Ordner nicht mehr durch. Die Zeit drängte, hastig wurden die österreichischen Coaches angerufen, damit “Lulu” wie Piovesana genannt wird, doch noch zur Hoffnungsrunde antreten kann.

Pünktlich zu Beginn ihres Kampfs gegen die Südkoreanerin Jisu Kim war Piovesana zurück auf der Matte und bot den vielleicht spektakulärsten Kampf des gesamten Tages in der Judo-Arena. Nach einer sehenswerten Wurftechnik klemmte Piovesana ihre Gegnerin mit der Beinschere ein. Diese musste schließlich aufgeben, aus dem Würgegriff der Österreicherin gab es kein Entkommen. Damit war die Bronzemedaille fast schon greifbar, ein letzter Sieg fehlte der gebürtigen Britin zu Bronze. Außerdem hatte sie mit Rang fünf bereits das beste Ergebnis einer ÖOC-Sportlerin bei den Spielen in Paris in der Tasche.

GEPA-20240730-101-142-0061
Der Wurf des Tages. Piovesana gegen die Koreanerin Kim. Gepa

Doch im Bronzekampf wartete niemand Geringeres als Claude Agbegnenou, die Grande Dame des Judosports vor ihrem Heimpublikum. Die Olympiasiegerin von 2021 und sechsfache Weltmeisterin wurde von Tausenden Fans unterstützt. “Es war eine Ehre, gegen sie vor dieser Kulisse kämpfen zu dürfen. Ich war immer ein Fan von Claude”, zeigte sich Piovesana demütig. Im Kampf hatte sie sich jedoch angriffslustig präsentiert. “Ich habe dominiert”, ist sich die 27-Jährige sicher, “aber gegen Claude darfst du dir keinen Fehler erlauben.” Das Missgeschick passierte und Piovesana lag nach einem spektakulären Wurf der Französin auf der Matte – es war der Ippon-Sieg für Agbegnenou.

ABD0096_20240730 – PARIS – FRANKREICH: vlnr.: Clarisse Agbegnenou (FRA) und Lubjana Piovesana (AUT) am Dienstag, 30. Juli 2024, nach deren Begegnung in der bis 63kg Klasse anl. der olympischen Spiele in Paris. – FOTO: APA/GEORG HOCHMUTH
Große Wertschätzung zwischen Piovesana und Agbegnenou. APA

“Es war trotzdem ein guter Tag, ich habe mein Bestes gegeben”, resümierte Piovesana und setzte sich bereits am Tag ihres fünften Olympia-Platzes große Ziele. Nach der Achterbahnfahrt des Tages wagte sie einen positiven Ausblick: “2028 will ich für Österreich in Los Angeles dabeisein und dort um Gold kämpfen.”