Als ganz Lustenau EHC war

Vor 40 Jahren verzauberten Steve Stockman, Jim Bisset, Mike Shea und Co. die Gemeinde.
Lustenau Es waren Wochen und Monate, die Zeitzeugen heute noch emotionalisieren. Damals, im Herbst und Winter 1984/85. Als eine Eishockey-Mannschaft die Identität einer Kommune neu definierte, die Rheinhalle Lustenau in eine Pilgerstätte verwandelte, Woche für Woche zur Huldigung seiner Helden lud.

Turbo-Steve
Der EHC Lustenau war Spektakel mit außergewöhnlichen Protagonisten.
Steve Stockmann: Ein Turbo auf Kufen, hölzern beim Anlaufen, eine nicht zu stoppende Urgewalt bei Höchstgeschwindigkeit, gnadenlos im Abschluss. 57 Tore schoss Stockman in dieser Saison – mit Abstand die meisten der Liga. Leider verstarb der Sensationsstürmer bereits vor elf Jahren.

Jim Bissett: Der kongeniale Partner von Turbo-Steve, ein brillanter Spielmacher. Des Duos Meisterwerk sah so aus: Stockman sprintete sich von hinter dem eigenen Gehäuse auf der rechten Seite in seine Hochgeschwindigkeitsbahn, Bissett spielte den Pass in der einzigen dafür vorgesehenen Zehntelsekunde, der Goalgetter ließ alle Gegner wie Hydranten stehen und schoss das Tor. Bissett schloss die Saison mit 115 Scorerpunkten ab – die mit Abstand meisten der Liga.

Mike Shea. Der damals 23-jährige Verteidiger führte gemeinsam mit Rick Cunningham und Franz Kotnauer die Abteilung Defensive und war wie seine beiden Kollegen auch offensiv eine Waffe. Shea wurde zum besten Verteidiger der Saison gewählt. Die großen Fünf wurden wie der Rest des Teams von einem großen Trainer geführt. Gerhard Kießling, damals 62, war die schillernde Persönlichkeit hinter der Bande. Seine Leidenschaft gepaart mit taktischer Raffinesse schufen eine Mannschaft, die Legendenstatus erreichte.
Das Grillfest
„Kießling wusste, wie er die Truppe zusammenschweißte. Kurz vor dem Saisonstart lud er die ganze Mannschaft samt Betreuer zu sich nach Hause in Mittenwald. Dort gab’s ein eintägiges Grillfest. Die Spieler durften essen und auch trinken was und so viel sie wollten. Kaum einer blieb nüchtern. Und am Abend ging’s als eingeschworener Haufen bei bester Laune im Bus wieder nach Hause“, erinnert sich Werner Alfare, bereits damals sportlicher Leiter des EHC.

Euphorie und Enttäuschung
Nach Platz zwei im Grunddurchgang hievte sich der EHC in der Finalrunde ganz an die Spitze. Im Halbfinale ging es damals gegen den KAC. Und ausgerechnet im alles entscheidenden dritten Spiel der Best-of-Three-Serie versagten bei den Lustenauern die Nerven. Sie unterlagen dem späteren Champion in Lustenau 3:6. Zuvor hatten Stockman und Co. den Rekordmeister zwei Mal zweistellig aus der Rheinhalle geschossen.
„Natürlich war das für uns eine große Enttäuschung. Wir hätten wirklich Meister werden können“, blickt Alfare, damals 35, wehmütig zurück. Zu sehen gab es in der fast immer vollen Rheinhalle großartige Spiele.

Unvergessen bleibt zum Beispiel der Derbysieg gegen den amtierenden Meister VEU Feldkirch im zweiten Meisterschaftsspiel. Der EHC führte bereits 5:0, ehe Feldkirch ein furioses Comeback schaffte. Am Ende siegte Lustenau 7:5. Trotz des unerwarteten Ausscheidens schrieb der EHC Lustenau mit dem damaligen Präsidenten und späteren Bürgermeister Hans-Dieter Grabher an der Spitze Geschichte. Die Eishockeyaner hatten etwas geschafft, was in einer Gemeinde mit zwei politisch verschieden ausgerichteten Fußballclubs, zwei ideologisch ebenfalls unterschiedlichen Turnvereinen und zwei Musikvereinen, die demselben Muster folgten, niemals jemand für möglich gehalten hätte: Sie vereinigten ganz Lustenau in einer noch nie gekannten Euphorie. „Das bleibt unvergessen“, weiß nicht nur Werner Alfare.
Das erzählen die Protagonisten heute

Jim Bissett, 65, Stürmer
Ich werde noch heute sentimental, wenn ich an diese fantastische Zeit in Lustenau zurückdenke. Davon ist für mich viel übriggeblieben. Und ich denke diesbezüglich nicht nur an den großen Erfolg, den wir in der Saison 1984/85 hatten. Mir sind die vielen tollen Menschen, die ich kennengelernt habe, in Erinnerung geblieben. Wir waren eine ganz spezielle Gruppe. Mit einigen von ihnen habe ich noch heute Kontakt. Im Jahr 2019 hätte ich zur 50-Jahr-Feier des EHC nach Lustenau kommen sollen. Leider fiel das Corona zum Opfer. Aber ich möchte das nachholen.

Mike Shea, 63, Verteidiger
Ich kam damals als 23-jähriger von Kanada nach Lustenau, hatte keine Ahnung, was mich dort erwartete. Was dann kam, war einfach unglaublich. Der Erfolg hat uns zu Prominenten im Dorf gemacht. Wir konnten in Lustenau nicht mehr gemütlich Mittagessen gehen, ohne dass uns die Fans belagerten. Dieses Jahr hat Steve, Jim und mich bekannt gemacht. Und obwohl ich später Meister geworden bin, war dieses erste Saison in Lustenau einmalig. Du musstest natürlich auch überall aufpassen, was du gemacht hast. Weil du immer im Mittelpunkt standest. Ein Teil meines Herzens ist immer in Lustenau geblieben.

Franz Kullich, 63, Stürmer
Es war dieses Jahr sicher die schönste Zeit meiner Eishockey-Karriere. Ich war damals nicht einmal Profi, arbeitete in einem Stickereibetrieb. Mein sportbegeisterter Chef war aber sehr entgegenkommend, sodass ich zwei Mal täglich trainieren konnte. Für mich war Eishockey auf diesem Niveau Neuland. Ich vergesse natürlich nicht, wie wir überall im Dorf auf unsere Spiele angesprochen wurden. Ich erhielt damals sogar eine Einberufung in die Nationalmannschaft und spielte auch eine B-WM.

Hans-Dieter Grabher, 77
damals Präsident des EHC Lustenau.
Wir erlebten damals eine noch nie dagewesene Sternstunde des Vereins. Wir waren Aufsteiger, zum zweiten Mal in der Bundesliga. Wir wollten nicht mehr der Prügelknabe sein wie bei unserem ersten Auftritt in der höchsten Spielklasse. Die Basis dafür legte natürlich unser Trainer Gerhard Kießling, den wir verpflichten konnten. Unsere grandiosen Legionäre beobachteten wir in Übersee vor Ort. Wir trafen die richtigen Entscheidungen, obwohl uns das Jahr finanziell etwas in Schwierigkeiten brachte. Aber der EHC begeisterte damals ganz Lustenau.

Hubert Hämmerle, 63
Ex-AK-Präsident und EHC-Fan.
Ich bin ja heute noch EHC-Fan und besuche die Spiele des Vereins. Wie sollte man diese großartig Saison 1984/1985 je vergessen. Ich weiß noch genau, wie das war. Ich habe damals geschaut, dass ich immer zwei Stunden vor Spielbeginn in der Halle war. Dann konnte ich mich auf der Stehtribüne ganz vorne platzieren. Da war ich nahe am Geschehen und konnte auch leicht aufs WC. Die Atmosphäre in der Halle war so fantastisch wie die Spiele. Viele Junge wissen gar nicht, wie toll das war. So lange ist das schon her.

Gefeiert wurde ganze Nächte lang
Für jüngere Lustenauer Sportfans ist es kaum vorstellbar, was für eine Euphorie der lokale Eishockeyverein im Winter 1984/1985 ausgelöst hatte. Umso besser ist die Erinnerung all jener, die der EHC damals mit seiner Spektakel-Mannschaft in den Bann zog.

In der Habsburg ging es rund
Während die Spiele in der Rheinhalle nach drei Dritteln beendet waren, feierte Lustenau in den verschiedensten Lokalen oft nächtelang die großen Siege von Cunningham und Co. Die Mannschaft versammelte sich nach den Spielen immer im Gasthaus Habsburg. Und mit ihnen zahlreiche Fans. Aber auch in anderen Gasthäusern und Bars wurde regelmäßig bis in die Morgenstunden gefeiert. Die Begeisterung kannte bis zum überraschenden Ende keine Grenzen.