Verzichten wir einfach mal eine Zeit lang darauf
Die Fastenzeit als wir Kinder waren: Ein großes leeres Glas. Dieses Glas füllte sich im Lauf der 40 Tage bis Ostern allmählich: mit all den Süßigkeiten, die wir geschenkt bekamen und auf die wir während der Fastenzeit verzichteten, unter Qualen mitunter.
Die Fastenzeit heute: Viele meiner Freundinnen und Freunde fasten, obwohl wenige von ihnen praktizierende Katholiken sind. Mein Freund Krüger zum Beispiel. Die Freunde tun es auf unterschiedliche, sehr individuelle Art: Sie trinken keinen Alkohol, sie essen kein Fleisch oder leben bis Ostern vegan, sie melden sich vorübergehend von ihren Social Media Kanälen ab (meist nicht ohne große Abschiedsszene, man braucht das Gefühl, dass es den anderen nicht einerlei ist, ob man da ist oder nicht, und natürlich ist es ein Versuch des Fertigwerdens mit der Angst, man könnte in diesen 40 Tagen virtueller Abwesenheit vielleicht doch einfach vergessen werden). Manche verzichten vorübergehend aufs Auto: Erinnert sich noch jemand an die Autoverzichtstage während der Energiekrise der 1970er-Jahre? Man klebte eine kleine Plakette auf die Windschutzscheibe mit dem Wochentag des PKW-Verzichtes und wenn man an dem Tag doch im Auto erwischt wurde, musste man Strafe zahlen. Vielleicht sollte man diese Idee in zeitgemäßer Form in der Ära der Klimakatastrophe ja wieder hervorkramen.
„Wenn Menschen auch nur 40 Tage lang bewusst oder noch ein bisschen bewusster leben, schadet es meistens nicht.“
Manche gehen während der Fastenzeit alle Wege zu Fuß, bei denen das machbar ist. Und einige verzichten, wie wir Kinder früher, auf Zucker, wie mein Freund Krüger, aber der machts vor allem deshalb, weil’s die Ärztin ihm entschieden verboten hat. Bier leider auch. Gefastet wird jedenfalls, indem man ganz bewusst auf etwas Gewohntes, zur Belastung oder auch Liebgewordenes verzichtet, auch ohne religiöse Gründe, sehr oft mit einem gesundheitlichen Eigennutzen im Sinn.
Man kann natürlich sagen, dass hier eine religiöse Bußzeit säkularisiert und für persönliche Benefizien missbraucht wird. Andererseits: Wenn Menschen auch nur 40 Tage lang bewusst oder noch ein bisschen bewusster leben, schadet es meistens nicht. Wenn sie zur Reduktion des Fleischkonsums beitragen oder sich nicht deppert saufen oder ihr Handy bewusst auch mal ausschalten (was z.B. den Umgang mit Krüger erheblich erleichtern würde): Es bringt schon was. Und wenn es nur ihnen guttut, ist es auch okay: Den meisten Leuten geht es ja besser, wenn sie etwas schaffen, was sie sich vorgenommen haben, und dann sind sie auch netter zu den anderen, also Bonusnutzen für alle. Obwohl: Krüger nicht. Der wird ohne sein Bier ganz schön grantig sein. Vor allem, wenn zu Ostern die Fastenzeit für alle anderen vorbei sein wird; außer für Krüger.
Doris Knecht
doris.knecht@vn.at
Doris Knecht ist Kolumnistin und Schriftstellerin. Sie lebt mit ihrer Familie in Wien und im Waldviertel.
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