“Emotionen sind mit den Leuten durchgegangen”

VN / 15.05.2020 • 07:00 Uhr
"Emotionen sind mit den Leuten durchgegangen"
Der Kanzlerbesuch im Kleinwalsertal ist aus dem Ruder gelaufen. Von den Oppositionsparteien gibt es dafür harsche Kritik. VN/PAULITSCH

Bad in der Menge anstatt Abstand: Kurz-Besuch im Kleinwalsertal schlägt weiter Wellen.

Mittelberg Beim Besuch des Bundeskanzlers am Mittwochabend im Kleinwalsertal kam zu einem spontanen Bad in der Menge. Bilder zeigen den Bundeskanzler eng umgeben von Bewohnern der Talschaft, die ihn bejubeln. Der Kanzler: ohne Gesichtsmaske inmitten der Menschenmenge. Da ein Selfie mit Kurz, dort ein freundlicher Gruß. Geplant war das alles so nicht. Jetzt sorgt der Auftritt teils für heftige Kritik und eine mögliche Anzeige. Natürlich könne man an den Ereignissen Kritik üben, räumt Mittelbergs Bürgermeister Andi Haid gegenüber den VN ein. „Nach vielen Wochen einer Defacto-Quarantäne sind mit den Leuten die Emotionen durchgegangen“, rechtfertigt er. Die Bevölkerung tue ihm jetzt ein wenig leid, weil das Echo in den Medien so heftig ausfalle. Dabei wollten sie im Kleinwalsertal dem Bundeskanzler nur einen gebührenden Empfang bereiten. Zettel mit Aufklärung zu den Covid19-Regeln wurden ebenso verteilt, wie es Absperrungen gab.

Kanzler mahnte Abstand ein

Die umstrittenen Szenen spielten sich vor dem Walserhaus in Hirschegg ab. Auf der Fahrt dorthin blieb das Kanzlerauto immer wieder stehen: direkter Kontakt zu den Bürgern, allerdings noch mit Abstand, wie Fotos dokumentieren. Ein anderes Bild vor dem Veranstaltungsgebäude. Menschen standen dicht an dicht. Ein improvisierter Auftritt führte schließlich auch zu einer kurzen Ansprache. Der Kanzler mahnte das Abstandhalten ein. Selbst kam er allerdings den Menschen mehrfach deutlich zu nahe, wie auch Videos zeigen.

Der Wirbel um die Aufnahmen und ein unglückliches Posting der Gemeinde mit einem Aufruf zur Beflaggung der Gebäude im Tal drückt ein wenig auf die Stimmung. Am Gesamteindruck des Kanzlerbesuchs ändere das aber nichts, sagt Bürgermeister Haid. Dieser sei überwiegend positiv. „Unsere Anliegen wurden gehört und auch verstanden“, so der Ortschef. Jetzt gelte es auch für die Zukunft vorzubauen. Das Tal brauche langfristig Sicherheit. Dabei setzten sie im Kleinwalsertal stark auf die Unterstützung des Kanzlers.

Das sagt der Bundeskanzler zum Kleinwalsertal-Besuch

Der Besuch von Bundeskanzler Sebastian Kurz im Kleinwalsertal macht Schlagzeilen. Dabei stehen weniger die dramatische Situation des Tals wegen der Grenzschließung im Fokus als der Empfang des Kanzlers durch die Bevölkerung. Mit der Volksfeststimmung am Vorplatz des Walserhauses hatte offensichtlich niemand gerechnet. Auch der Kanzler selbst nicht. „Wir werden uns als Bundeskanzleramt weiter massiv darum bemühen, dass überall Abstandsregeln eingehalten werden, auch wenn das diesmal leider nicht so gelungen ist wie gewünscht“, räumt Sebastian Kurz im Gepräch in der VN-Redaktion ein. Der Kanzler weist auch auf die Bemühungen der Gemeinde Mittelberg hin, die im Vorfeld die Bevölkerung informierte, dass es sich lediglich um ein Arbeitstreffen und nicht um eine öffentliche Veranstaltung handle. Dass die Menschen auf der Straße zusammenströmen, war so nicht geplant. Auch von Seiten der Gemeinde wurde darauf hingewiesen, dass das nicht stattfinden soll. Es ist für uns alle ein herausfordernder Lernprozess“, so Sebastian Kurz weiter. Für ein Hochfahren des Landes nach dem Shut-Down sind die Vorgaben weiter elementar. „Je mehr wir Abstand einhalten und Hygieneregeln befolgen, desto besser kommen wir durch die Krise“, sagt der Bundeskanzler bei seinem Besuch in Vorarlberg.

So reagieren die Oppositionsparteien

SPÖ: Die SPÖ echauffierte sich in einer Aussendung über die „Skandalbilder“ aus Vorarlberg und die „Verhöhnung der Bevölkerung“. Die Abgeordneten Jörg Leichtfried und der Vorarlberger Reinhold Einwaller brachten parlamentarische Anfragen an den Gesundheits- und Innenminister ein.

FPÖ: Heftige Worte zum Kurz-Auftritt in Vorarlberg fand FPÖ-Klubobmann Herbert Kickl. Die Abstandsregeln hätten für alle zu gelten. Kurz sei jetzt eindeutig ein „Lebensgefährder“ – noch dazu, wo in der Menge viele ältere Menschen gewesen seien, so Kickl.

NEOS: „Was man gesehen hat, entbehrt jeglicher Ernsthaftigkeit und jeglichem Verantwortungsbewusstsein“, kritisierte NEOS-Chefin Beate Meinl-Reisinger den Kleinwalsertal-Besuch. Man prüfe eine Anzeige. Es könne nicht sein, dass Bürger 500 Euro Strafe zahlen mussten, der Kanzler die Regeln selbst nicht einhalte.