Das Schlimmste blieb uns erspart

Intensivmediziner rät, die Impfbereitschaft hochzuhalten.
Feldkirch Seit einiger Zeit bewegt sich das Infektionsgeschehen wieder in ruhigerem Fahrwasser. Die 7-Tage-Inzidenzen sinken wieder, die Neuinfektionen ebenfalls. Das macht sich auch in den Krankenhäusern bemerkbar, wo sich die Situation nach einem aufreibenden Herbst deutlich beruhigt hat. Intensivkoordinator Wolfgang List rechnet aber auch künftig immer wieder mit Coronapatienten.
Wann hat die Pandemie aus intensivmedizinischer Sicht begonnen?
List Da sprechen wir in erster Linie von der zweiten Welle im Herbst. Wir hatten Anfang August die ersten Intensivpatienten in Vorarlberg. Im Oktober und November sind die Fallzahlen dann dramatisch angestiegen und brachten uns nahe an die Grenzen des Machbaren.
Gab es jemals die reelle Befürchtung, dass man es nicht mehr schaffen könnte?
List Im November wurde diese Angst, uns dem Thema Triage stellen zu müssen, sehr konkret. Wir hatten Inzidenzen von teilweise über 800, und uns war klar, wenn wir nicht rasch die Umkehr schaffen, wird die Pandemie unsere Kapazitäten sprengen.
Wie wichtig war das Netzwerk zwischen den Intensivstationen?
List Es war wichtig, dass nicht jedes Spital sein eigenes Süppchen kochte, sondern solche Entscheidungen gemeinsam getroffen wurden. Wir haben den in Feldkirch für den Notfall erarbeiteten Leitfaden mit den anderen Häusern abgestimmt, sodass jeder wusste, woran er sich halten kann. Diese Vorbereitung hat sich bewährt.
Wie haben die Mitarbeitenden die sich zuspitzende Situation aufgenommen?
List Am Anfang waren es vor allem persönliche Ängste. Die Mitarbeiter sorgten sich um ihre Familien, um sich selbst. Diese ganzen Meldungen aus China und Südtirol, als es hieß, medizinisches Personal hat sich angesteckt, Ärzte und Pfleger sind schon verstorben, haben verunsichert. Als sicher war, dass es genügend Schutzausrüstung gibt, traten diese Ängste in den Hintergrund. Es ging dann mehr um die Frage, wie viel an Arbeitspensum können wir stemmen. Wir bewegten uns alle jenseits des Arbeitszeitgesetzes, und als es hart auf hart kam, hat wirklich jeder gebuckelt, bis er fast umfiel.
Waren Sie als Intensivkoordinator da besonders gefordert, zu motivieren?
List Eigentlich nicht, denn die Grundmotivation war immer vorhanden. Es herrschte überall große Bereitschaft und Solidarität. Es gab nie ein Problem damit, Dienste zu besetzen oder über das normale Arbeitspensum hinaus Stunden zu übernehmen. Niemand hat gefragt, warum muss der Patient ausgerechnet zu uns. Die Arbeit wurde ohne Jammern übernommen.
Wann wurde Ihnen bewusst, dass sich das Virus nicht aufhalten lässt?
List Ich erinnere mich an eine ganz konkrete Situation Anfang Februar letzten Jahres. Ich war auf einer Fortbildung in der Nähe von Stuttgart, und auf dem Nachhauseweg kam im Autoradio die Meldung aus China, wonach nun gesichert sei, dass eine Übertragung des Virus schon vor Ausbruch der Symptome möglich ist. Ab diesem Zeitpunkt war mir klar, dass sich nichts mehr aufhalten lässt.
Was würden Sie im Rückblick als das Schwierigste bezeichnen?
List Ich würde es so formulieren: Das Schlimmste ist uns erspart geblieben, weil wir es geschafft haben, mit unseren Kapazitäten nicht ans Limit zu kommen.
War es richtig, nicht nur auf Inzidenzen, sondern auch auf das Gesundheitssystem zu schauen?
List Ja, es hat sich auch in der Nachschau bestätigt, dass es Sinn macht, die Auslastung des Gesundheitssystems im Auge zu behalten. Das war damals ein neuer Aspekt, vorher ging es ja nur um Inzidenzen.
Wie lange wird uns Corona noch begleiten?
List Uns ist bewusst, dass wir auch in den nächsten Jahren immer wieder Patienten haben werden, die schwer an Covid erkranken und eine intensivmedizinische Betreuung benötigen. Das sind hoffentlich nur geringe Fallzahlen, aber es wird ein Stück weit unser Alltag bleiben. Was alles andere betrifft, hoffe ich auf eine weiterhin hohe Impfbereitschaft. Speziell mit Blick auf den Herbst müssen wir dranbleiben und dafür sorgen, dass die Impfbereitschaft nicht abreißt.