Eine ganz andere Normalität

Paul (16) ist Autist. Seine Geschichte zum Welt-Autismus-Tag.
Dornbirn Dunkles Haar, strahlendes Lächeln: Paul ist ein hübscher Bub. „Das sagen alle“, bestätigt seine Mutter Ulli Thurnher-Beer meine spontane Reaktion, die sich beim Betrachten des Fotos einstellt. Liebevoller Stolz spricht aus ihren Worten. Das Bild zeigt den 16-Jährigen mit seinen älteren Geschwistern Anton (20) und Katharina (19). Es vermittelt ungetrübte Normalität, doch davon ist die Familie weit entfernt, denn Paul leidet an Autismus. Diese Wahrnehmungs- und Informationsverarbeitungsstörung, deren Ursache immer noch erforscht wird, ist bei ihm besonders stark ausgeprägt. Paul kann nicht sprechen und braucht rund um die Uhr Betreuung und Begleitung. „Jeder Tag bedeutet eine Herausforderung“, räumen seine Eltern, Ulli und Roland Thurnher-Beer, freimütig ein. Bewältigt wird sie mit Unterstützung von außen und aus dem eigenen sozialen Umfeld.
Vollendete Tatsachen
Nichts deutete bei der Geburt auf ein Handicap hin. „Paul entwickelte sich ganz normal“, erzählt Ulli Thurnher-Beer. Das blieb so, bis zum Alter von eineinhalb Jahren. Dann änderte sich alles. Immer wieder stellte die Mutter fest, dass ihr Sohn in der Entwicklung deutlich hinter gleichaltrigen Kindern war. „Vielleicht ist er einfach ein bisschen langsamer“, hat sie sich selbst beruhigt. Als der Kleine jedoch anfing, seltsame Dinge zu machen, kamen ihr Zweifel. Verließ der Vater das Haus, begann Paul wie am Spieß zu brüllen und beruhigte sich erst, als die Mutter ihn in den Kinderwagen setzte und spazieren ging. Eine Abklärung beim Kinderarzt brachte keine Antworten. Nach einer Entwicklungsdiagnostik fiel schließlich zum ersten Mal das Wort „Autismus“, und Roland und Ulli standen vor vollendeten Tatsachen: „Wie wir zu finanzieller Unterstützung kommen, konnte uns jeder sagen, aber nicht, was wir mit und für Paul tun können.“ Die Belastungen wuchsen. Dann hörte Ulli Thurnher-Beer von Renate Vogel: „Sie war unsere Rettung. Endlich war da jemand, der wusste, wie wir mit Paul umgehen können. Bis dahin hatten wir ein nur schreiendes Kind zu Hause.“

Kampf gegen Vorurteile
Renate Vogel engagiert sich schon Jahrzehnte in der Autistenhilfe sowie im gleichnamigen Verein, der 1994 gegründet wurde. Trotz intensiver Anstrengungen sind Verbesserungen für autistische Menschen nur schwer zu erreichen. „Unseren Kindern sieht man ihre Behinderung nicht an“, berichtet Vogel von noch immer bestehenden Vorurteilen, denn Autisten fallen zwar auch auf, aber anders. Paul beispielsweise gibt, wie es seine Mutter formuliert, „komische Laute“ von sich. Die Blicke, die Ulli und Roland dafür häufig ernten, sind immer noch schwer zu ertragen. Doch sie stehen eisern zu ihrem Kind. „Wir lieben Paul über alles“, bekräftigt der Vater. Nach dem Besuch eines integrativen Kindergartens und der integrativen Volksschule in Dornbirn-Haselstauden besucht Paul inzwischen eine Sonderschule. „Er geht gerne dorthin“, sagt die Mutter, der es damit auch wieder möglich ist, ihrem Beruf als Lehrerin wenigstens zu 50 Prozent nachzukommen.
Mehr Wissen vermitteln
Trotz aller Probleme ist es ihnen wichtig, den Jüngsten am Leben teilhaben zu lassen. Skifahren, Radfahren, Paul beherrscht beides, aber: „Es war ein langer Weg“, flicht die Mutter ein. Jetzt jedoch liebt es Paul, sportlich unterwegs zu sein. Renate Vogel setzt sich indes weiter für die Bedürfnisse von Autisten und ihrer Angehörigen ein. „Wir möchten Verständnis und Toleranz erreichen, mehr Wissen über das Autismus-Spektrum vermitteln, um damit die Lebensbedingungen von Menschen mit Autismus im Sinne der Inklusion zu verbessern.“ Was es laut Renate Vogel noch braucht, sind mehr Therapieplätze, Wohnmöglichkeiten und Arbeitsstellen.
Infos: Autistenhilfe Vorarlberg, E-Mail: info@autistenhilfe-vorarlberg.at