Das kann man doch noch essen!
Wie ich letzte Woche einen Wein aus dem Keller geholt habe, ist mir im Regal daneben eine Flasche mit heller Flüssigkeit aufgefallen. Ich nahm sie mit hinauf in die Küche, setzte mir die Brille auf und entzifferte das Etikett. „Holunderblütensirup 2011“. Okay.
Ich habe gelernt, nicht mehr nur auf Ablauf- und Mindesthaltbarkeitsdaten zu achten, sondern meinen Augen, meiner Nase, meiner Fähigkeit zu schmecken zu vertrauen, und weiß deshalb: Das Jogurt hinten im Kühlschrank kann auch nach einem Jahr noch genießbar sein, Eier halten sich gekühlt gut drei Monate, wenn nicht, riecht man es beim Aufschlagen.
„Ich spähte in die Flasche, kein Schimmel zu erkennen, nur ein paar Schlieren, über die das Internet sagte, das sei nur Blütenstaub.“
Ich spähte in die Flasche, kein Schimmel zu erkennen, nur ein paar Schlieren, über die das Internet sagte, das sei nur Blütenstaub. Ich schüttelte die Flasche vorsichtig, öffnete sie, roch daran, goss etwas in ein Glas, roch nochmal, kostete vorsichtig, goss schließlich das Glas mit kaltem Wasser auf. Schmeckte, wie es schmecken sollte.
Trotzdem schritt ich jetzt wieder einmal zur Herstellung von frischem Holderblütensirup, in meinem Garten haben sich vier Büsche breit gemacht. Sirup, nicht Holdersekt, das Lieblingsgetränk meiner Kindheit, alkoholfrei natürlich, aber das selber herzustellen wage ich nicht, weil ich mich erinnern kann, wie immer wieder eine der Zwei-Liter-Flaschen im Keller explodierte, weil sie widerrrechtlich gärte. Und seit ich gesehen habe, was eine explodierende Flasche selbstgepresster Apfelsaft beim Öffnen in einer frisch ausgemalten Küche anrichten kann, bin ich vorsichtig. Heiliger Bimbam. Es war zum Glück nicht meine Küche.
Also Sirup, aus Blüten, Zucker, Zitronen und Zitronensäure. Habe ich seit Jahren nicht mehr gemacht, weil mir der Sirup schon beim Ansetzen mehrmals verschimmelt war, außerdem hat man ja keine Kinder mehr im Haus. Diesmal schimmelte nichts, weil ich vor Ort war, um jeden Tag umzurühren, und am fünften Tage füllte ich den Sirup in die ausgekochten alten Flaschen ab. Schmeckt gut, aber erst wird natürlich der alte aufgebraucht, so habe ich es gelernt.
Im Keller, auf dem Regal, hatte ich noch etwas entdeckt: Ein Glas Marmelade, das mir meine Schwester einmal als Mitbringsel gebracht hat. „Himbeeren mit Geist“, stand in ihrer ordentlichen Handschrift darauf, und das Jahr der Herstellung: 2006. Das Glas öffnete sich mit einem Plopp und enthüllte eine sehr dunkle Masse, die aber immer noch ein bisschen nach Himbeeren roch. Ich strich mir ein wenig davon auf ein halbes Semmerl. Noch essbar, aber. Ich schickte meiner Schwester ein Foto davon, und sie schrieb: Haha, mutig!, aber den Rest entsorgst du bitte besser im Kompost; und das tat ich auch.
Doris Knecht
doris.knecht@vn.at
Doris Knecht ist Kolumnistin und Schriftstellerin. Sie lebt mit ihrer Familie in Wien und im Waldviertel.
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