Doris Knecht

Kommentar

Doris Knecht

Kolumne: Das Gemüt eines Capybara

VN / 18.08.2025 • 15:15 Uhr

Ich google gerade im Netz nach einer Selbsthilfegruppe für Eltern von Führerschein-Neulingen. Es hat bei meinen Stadtkindern mit dem Führerschein etwas länger gedauert als beim durchschnittlichen jungen Menschen am Land, der mit 17 oder 18 fahren kann. Wenngleich sich ja der öffentliche Verkehr, speziell im Ländle, exorbitant zum Positiven entwickelt hat, und man wirklich nicht mehr behaupten kann, dass man ohne Auto aufgeschmissen wäre.

Jetzt haben auch meine Fortpflänze die kleine rosa Karte, aber das reicht natürlich nicht, man braucht auch Fahrpraxis. Deswegen fährt die Mutter jetzt mit den Führerschein-Neulingen die Strecke vom Waldviertel in die Stadt und retour, oder vom zwanzig Kilometer entfernten Bahnhof zum Haus und vom Haus wieder zum Bahnhof. Das jeweilige Kind fährt, ich sitze wie ein Buddha am Beifahrersitz, die Hände entspannt auf den Schenkeln. Naja, jedenfalls ist das der Plan, jedes Mal, wenn ich einsteige.

Wer mich kennt, schätzt mich nicht unbedingt wegen meiner unerschütterlichen Gelassenheit. Früher hieß es, ich hätte Temperament, heutzutage spricht man wohl von einer Impulskontrollstörung, ich bin da wie mein Hund. Wir regen uns beide extrem schnell auf, wenn irgendwas nicht passt oder sich Dinge unangekündigt ändern, zorniges Gebell, aber wenn wir uns wieder beruhigt haben, sind wir sehr gutmütig und lieb.

Wenn man eine tiefentspannte Beifahrerin für nervöse Fahranfänger sucht, bin ich also nicht die erste Wahl. Was meinen Kindern völlig klar ist, deswegen wäre ihnen auch nie eingefallen, das Fahren mit mir und dem blauen L zu lernen. Aber jetzt bin ich halt die mit dem Auto, und weil sie es ausborgen wollen, muss ich zuerst überzeugt sein, dass sie auch sicher damit fahren.

Die derzeitige Bilanz ist, dass ich befürchte, dass ein Kind verläufig nicht mehr mit mir spricht. Ja, ich hab es angebrüllt, aber ich bin der Meinung, dass die gefährliche Situation und die etwas zu lahme Reaktion darauf das erforderte. Ich habe mich auch ordentlich entschuldigt, ja ich war wirklich zerknirscht und habe mich furchtbar über mich geärgert, als ich aus dem Auto ausstieg. Warum konnte ich nicht ein bisschen entspannter reagieren, ein bisschen mehr Vertrauen in mein Kind haben?

Das Kind ignoriert mich jetzt schon den halben Tag, und ich zerfleische mich an der Frage, warum mir das immer nur mir passiert. Ich schrieb meiner Freundin, und sie schrieb zurück: Deswegen fahr ich auf keinen Fall mit meinen Kindern. Langsam dämmert mir, dass das hier jetzt wahrscheinlich nicht nur mir passiert, sondern allen Eltern am Beifahrersitz, die nicht mit dem sedierten Gemüt eines Capybara gesegnet sind. Da müssen wohl alle durch; und jetzt halt auch wir.

Doris Knecht ist Kolumnistin und Schriftstellerin. Sie lebt mit ihrer Familie in Wien und im Waldviertel.