Krise auf der Bielerhöhe: Wie Naturgewalten Urlaubspläne und die lokale Wirtschaft auf die Probe stellen

Am Freitag war wieder der erste Tag, an dem der Shuttleservice die Wanderer über die Silvretta Hochalpenstraße auf die Bielerhöhe brachte. Gastwirte erzählen, wie das Geschäft für sie seit der Sperre läuft und Urlauber wie Einheimische berichten, woher sie kommen und wohin es sie treibt.
Gaschurn Um 9.02 Uhr fährt der Bus ab der Haltestelle „Partenen Bergbahnen“ hinauf zur Kehre 12 der gesperrten Silvretta Hochalpenstraße. Es ist an diesem Freitagmorgen erst der zweite Bus, der hochfährt. Sechs Personen sitzen drin. Einer von ihnen ist Hubert Rödhammer aus Bludenz. Der 78-Jährige wollte eigentlich auf die Versalspitze wandern, aber die Tafamuntbahn ist zurzeit aufgrund von nicht aufschiebbaren Felsarbeiten nur sehr eingeschränkt geöffnet. Zwischen Montag und Freitag fährt die Bahn nur um 7.30 Uhr und 7.45 Uhr. Das wusste Hubert nicht. „Anscheinend ist auch der Wanderweg zur Versalspitze gesperrt“, sagt er bedrückt. Also muss er umdisponieren: Die Saarbrücker Hütte ist nun sein Ziel. Hubert Rödhammer geht viel wandern: „Ich brauche Bewegung“, sagt er, der schon 110 Marathons gelaufen ist. Er befürchtet, dass es nicht die letzte Hangrutschung gewesen ist: „Beim nächsten Gewitter wird das Gleiche passieren.“



Auf dem Wanderweg, der von der Kehre 12 zur Kehre 14 führt, erhaschen die Wanderer einen spektakulären Blick auf den gewaltigen Felssturz, der sich Mitte Juli ereignete. Postendienst Franz Dönz schaut darauf, dass die Menschen „richtig laufen“ und keine Fahrradfahrer durchkommen. Der Shuttleservice werde gut angenommen. „Im ersten Bus waren rund 20 Leute drin.“




Tagesgäste fehlen
Birgit und Andreas aus Dresden sitzen ebenfalls im Bus und wollen auf die Bielerhöhe. Sie haben in ihrer Pension Mottabella davon erfahren, dass der Shuttleservice wieder angeboten wird, und peilen nun die Wiesbadener Hütte an. Hüttenwirt Emil Widmann freut sich bestimmt auf deren Besuch, denn in dieser Saison hat er 50 Prozent weniger Tagesgäste und 20 Prozent weniger Übernachtungen. „Die Mehrheit kommt aus dem Montafon hinauf. Rein finanztechnisch haben wir schon mal mehr Umsatz gemacht in einer Saison“, sagt Emil Widmann. Doch er weiß auch: „Je näher du an der Straße bist, desto mehr bist du davon auch betroffen“, und spricht dabei vor allem die Hotels und Restaurants auf der Bielerhöhe an. Die Bergsteiger lassen sich dagegen nicht so leicht abschrecken. „Alle zehn Jahre haben wir ein verflixtes Jahr, das ist halt jetzt.“
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Auf der Bielerhöhe sind morgens nur wenige Wanderer anzutreffen, dafür umso mehr Pferde, die frei herumlaufen. Manfred und Ruth Axler aus Düsseldorf sitzen draußen vor dem Kiosk bei einem Becher Kaffee. Seit 47 Jahren machen sie schon in St. Anton am Arlberg Urlaub. „Wir sind am Montag angekommen. Alles war vermurt. Meterhoch. Überall Schutt, Holz, dicke Steine und jede Menge Autos. Unglaublich!“, erzählt Manfred. Sie haben einen Tag zuvor in Galtür im Tourismusbüro angerufen, ob die Hochalpenstraße offen sei, und sind hinaufgefahren. „Normalerweise ist es hier immer voll, doch jetzt ist es hier total ruhig“, bemerkt Manfred.




“Verkorkste Saison”
Rune Niebuhr und Maximilian Stegerer von GSL Tourismus betreiben den Kiosk, das Lädili und das Gasthaus Silvrettasee. Das Gasthaus haben sie seit dem Felssturz zugesperrt, da es sich nicht mehr rentiert. „Die Reisebusse und Motorradfahrer machen das Hauptgeschäft“, sagt Maximilian. Die fehlen jetzt. „Die Wanderer kommen morgens auf einen Kaffee und am Nachmittag auf eine Kugel Eis vorbei. Die, die hier Geld liegen lassen, sind die, die durchfahren, also Reisebusse, Motorräder und Autos.“ Am Donnerstag war ein ganz schwacher Tag, trotz gutem Wetter. An normalen Tagen erwirtschaften sie 3000 Euro, jetzt sind es 300 bis 500 Euro. Es fällt schwer, Umsatz zu machen mit nur kleinen Speisen. „Diese Saison ist ein bisschen verkorkst“, sagt Maximilian, der seinen dritten Sommer auf der Bielerhöhe verbringt.





Schon schwierige Jahre gemeistert
Gleicher Meinung ist auch Peter Oberschmid vom Gasthaus Piz Buin. Er verzeichnet ein Umsatzminus zwischen 50 und 60 Prozent. „Die Tagesgäste und der Durchzugsverkehr fehlen. Der ganze Bodenseeraum, die Schweiz und Vorarlberg fallen weg. Wir haben gehofft, dass die Straße wieder aufgeht.“ Bei den Hotelgästen erhält er dagegen nur wenige Stornierungen. Immerhin kommen durch den Shuttleservice wieder mehr Gäste auf die Bielerhöhe, das merkt auch Peter, der seit 30 Jahren das Gasthaus Piz Buin betreibt. „Heuer haben wir ein spezielles Jahr: Viel Schnee im Winter, dann ein nasser Frühling. Es war nie richtig trocken.“ Doch er hat schon andere schwierige Jahre gemeistert, wie das Lawinenunglück in Galtür 1999, das Hochwasser 2005 und Corona. „Da denkst du, es läuft wieder gut, und dann kommt die nächste Keule.“




Zur Mittagszeit sind draußen zehn Tische belegt. Dabei lässt das Wetter keine Wünsche offen. An einem dieser Tische sitzen die Schwestern Hanni Gröblacher und Margit Spratler mit ihrem Enkelkind. Sie sind Stammgäste im Gasthaus Piz Buin und haben schon zum zweiten Mal den Shuttleservice genutzt. Hanni wohnt in Gortipohl und merkt, dass die Hochalpenstraße zu ist, denn es ist ruhiger bei ihr geworden. „Es fahren fast keine Motorradfahrer mehr bei uns vorbei.“




Und dann passiert doch noch ein kleines Wunder: Ein Reisebus aus Leipzig kommt an. „Wir wollten aus dem Montafon hinauffahren. Es ist schade, dass die Silvretta Hochalpenstraße zu hat, doch was im Programm steht, das müssen wir auch machen“, sagt Reiseleiterin Dagmar Bachler. Rune und Maximilian, die den Kiosk und Lädili betreiben, freut das natürlich.



