Krise auf der Bielerhöhe: Wie Naturgewalten Urlaubspläne und die lokale Wirtschaft auf die Probe stellen

VN / 23.08.2024 • 20:45 Uhr
Krise auf der Bielerhöhe: Wie Naturgewalten Urlaubspläne und die lokale Wirtschaft auf die Probe stellen
Peter Oberschmid vom Gasthaus Piz Buin freut sich, dass wenigstens durch den Shuttleservice wieder mehr Besucher auf die Bielerhöhe kommen. Zwei von ihnen sind Andreas und Birgit aus Dresden. Bilder: VN/JUN

Am Freitag war wieder der erste Tag, an dem der Shuttleservice die Wanderer über die Silvretta Hochalpenstraße auf die Bielerhöhe brachte. Gastwirte erzählen, wie das Geschäft für sie seit der Sperre läuft und Urlauber wie Einheimische berichten, woher sie kommen und wohin es sie treibt.

Gaschurn Um 9.02 Uhr fährt der Bus ab der Haltestelle „Partenen Bergbahnen“ hinauf zur Kehre 12 der gesperrten Silvretta Hochalpenstraße. Es ist an diesem Freitagmorgen erst der zweite Bus, der hochfährt. Sechs Personen sitzen drin. Einer von ihnen ist Hubert Rödhammer aus Bludenz. Der 78-Jährige wollte eigentlich auf die Versalspitze wandern, aber die Tafamuntbahn ist zurzeit aufgrund von nicht aufschiebbaren Felsarbeiten nur sehr eingeschränkt geöffnet. Zwischen Montag und Freitag fährt die Bahn nur um 7.30 Uhr und 7.45 Uhr. Das wusste Hubert nicht. „Anscheinend ist auch der Wanderweg zur Versalspitze gesperrt“, sagt er bedrückt. Also muss er umdisponieren: Die Saarbrücker Hütte ist nun sein Ziel. Hubert Rödhammer geht viel wandern: „Ich brauche Bewegung“, sagt er, der schon 110 Marathons gelaufen ist. Er befürchtet, dass es nicht die letzte Hangrutschung gewesen ist: „Beim nächsten Gewitter wird das Gleiche passieren.“

Silvretta Bielerhöhe, Silvretta Hochalpenstraße
Hubert Rödhammer steigt in den Bus in Partenen ein. Geplant hatte er eigentlich die Versalspitze.
Silvretta Bielerhöhe, Silvretta Hochalpenstraße
Bei der Mautstelle muss jeder die Maut in Höhe von fünf Euro zahlen.
Silvretta Bielerhöhe, Silvretta Hochalpenstraße
Sicherheitshinweis für die Wanderer

Auf dem Wanderweg, der von der Kehre 12 zur Kehre 14 führt, erhaschen die Wanderer einen spektakulären Blick auf den gewaltigen Felssturz, der sich Mitte Juli ereignete. Postendienst Franz Dönz schaut darauf, dass die Menschen „richtig laufen“ und keine Fahrradfahrer durchkommen. Der Shuttleservice werde gut angenommen. „Im ersten Bus waren rund 20 Leute drin.“

Silvretta Bielerhöhe, Silvretta Hochalpenstraße
Birgit und Andreas aus Dresden machen in Partenen Urlaub und haben sich am Freitag spontan für die Bielerhöhe entschieden.
Silvretta Bielerhöhe, Silvretta Hochalpenstraße
Franz Dönz leitet die Wanderer auf den provisorischem Wanderweg und weist Radfahrer ab, die hinauf wollen.
Silvretta Bielerhöhe, Silvretta Hochalpenstraße
Der neu angelegte Wanderweg zur Kehre 14.
Silvretta Bielerhöhe, Silvretta Hochalpenstraße
Hier sehen die Wanderer ganz gut den Felssturz.

Tagesgäste fehlen

Birgit und Andreas aus Dresden sitzen ebenfalls im Bus und wollen auf die Bielerhöhe. Sie haben in ihrer Pension Mottabella davon erfahren, dass der Shuttleservice wieder angeboten wird, und peilen nun die Wiesbadener Hütte an. Hüttenwirt Emil Widmann freut sich bestimmt auf deren Besuch, denn in dieser Saison hat er 50 Prozent weniger Tagesgäste und 20 Prozent weniger Übernachtungen. „Die Mehrheit kommt aus dem Montafon hinauf. Rein finanztechnisch haben wir schon mal mehr Umsatz gemacht in einer Saison“, sagt Emil Widmann. Doch er weiß auch: „Je näher du an der Straße bist, desto mehr bist du davon auch betroffen“, und spricht dabei vor allem die Hotels und Restaurants auf der Bielerhöhe an. Die Bergsteiger lassen sich dagegen nicht so leicht abschrecken. „Alle zehn Jahre haben wir ein verflixtes Jahr, das ist halt jetzt.“

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Silvretta Bielerhöhe, Silvretta Hochalpenstraße
Ab hier müssen die Wanderer zu Fuß weiter.
Silvretta Bielerhöhe, Silvretta Hochalpenstraße
Anna Vallaster beobachtet mit einem Fernglas die Abbruchkante, um die Sicherheit der Arbeiter zu gewähren.
Silvretta Bielerhöhe, Silvretta Hochalpenstraße
Der Bus wirbelt ganz schön viel Staub auf.
Silvretta Bielerhöhe, Silvretta Hochalpenstraße
Ein Zaun gewährleistet die Sicherheit der Wanderer.

Auf der Bielerhöhe sind morgens nur wenige Wanderer anzutreffen, dafür umso mehr Pferde, die frei herumlaufen. Manfred und Ruth Axler aus Düsseldorf sitzen draußen vor dem Kiosk bei einem Becher Kaffee. Seit 47 Jahren machen sie schon in St. Anton am Arlberg Urlaub. „Wir sind am Montag angekommen. Alles war vermurt. Meterhoch. Überall Schutt, Holz, dicke Steine und jede Menge Autos. Unglaublich!“, erzählt Manfred. Sie haben einen Tag zuvor in Galtür im Tourismusbüro angerufen, ob die Hochalpenstraße offen sei, und sind hinaufgefahren. „Normalerweise ist es hier immer voll, doch jetzt ist es hier total ruhig“, bemerkt Manfred.

Silvretta Bielerhöhe, Silvretta Hochalpenstraße
Viele Wanderer fahren schon morgens wieder zurück ins Tal, weil sie zum Beispiel auf einer Hütte übernachtet haben.
Silvretta Bielerhöhe, Silvretta Hochalpenstraße
Auch ein Baum musste für die Umlegung des Wanderweges gefällt werden.
Silvretta Bielerhöhe, Silvretta Hochalpenstraße
Manfred und Ruth Axler aus Düsseldorf fahren jedes Jahr nach St. Anton am Arlberg und kennen sich in der Gegend bestens aus.
Silvretta Bielerhöhe, Silvretta Hochalpenstraße
Derweil auf der Bielerhöhe… Pferde gehen hier frei herum.

“Verkorkste Saison”

Rune Niebuhr und Maximilian Stegerer von GSL Tourismus betreiben den Kiosk, das Lädili und das Gasthaus Silvrettasee. Das Gasthaus haben sie seit dem Felssturz zugesperrt, da es sich nicht mehr rentiert. „Die Reisebusse und Motorradfahrer machen das Hauptgeschäft“, sagt Maximilian. Die fehlen jetzt. „Die Wanderer kommen morgens auf einen Kaffee und am Nachmittag auf eine Kugel Eis vorbei. Die, die hier Geld liegen lassen, sind die, die durchfahren, also Reisebusse, Motorräder und Autos.“ Am Donnerstag war ein ganz schwacher Tag, trotz gutem Wetter. An normalen Tagen erwirtschaften sie 3000 Euro, jetzt sind es 300 bis 500 Euro. Es fällt schwer, Umsatz zu machen mit nur kleinen Speisen. „Diese Saison ist ein bisschen verkorkst“, sagt Maximilian, der seinen dritten Sommer auf der Bielerhöhe verbringt.

Silvretta Bielerhöhe, Silvretta Hochalpenstraße
Der Uferweg West ist ebenfalls gesperrt.
Silvretta Bielerhöhe, Silvretta Hochalpenstraße
Rune Niebuhr verkauft Eis. Für 11 Uhr Vormittag recht ungewöhnlich, denn die meisten Gäste kommen erst nach ihrer Wanderung zu ihm, um sich ein Eis zu gönnen.
Silvretta Bielerhöhe, Silvretta Hochalpenstraße
Maximilian Stegerer betreibt zusammen mit Rune das Kiosk. Vor allem der Durchzugsverkehr fehle.
Silvretta Bielerhöhe, Silvretta Hochalpenstraße
Der Shuttlebus fährt alle halbe Stunde ab der Bielerhöhe.
Silvretta Bielerhöhe, Silvretta Hochalpenstraße
Immer mehr Menschen gelangen mit dem Shuttlebus aufdie Bielerhöhe.

Schon schwierige Jahre gemeistert

Gleicher Meinung ist auch Peter Oberschmid vom Gasthaus Piz Buin. Er verzeichnet ein Umsatzminus zwischen 50 und 60 Prozent. „Die Tagesgäste und der Durchzugsverkehr fehlen. Der ganze Bodenseeraum, die Schweiz und Vorarlberg fallen weg. Wir haben gehofft, dass die Straße wieder aufgeht.“ Bei den Hotelgästen erhält er dagegen nur wenige Stornierungen. Immerhin kommen durch den Shuttleservice wieder mehr Gäste auf die Bielerhöhe, das merkt auch Peter, der seit 30 Jahren das Gasthaus Piz Buin betreibt. „Heuer haben wir ein spezielles Jahr: Viel Schnee im Winter, dann ein nasser Frühling. Es war nie richtig trocken.“ Doch er hat schon andere schwierige Jahre gemeistert, wie das Lawinenunglück in Galtür 1999, das Hochwasser 2005 und Corona. „Da denkst du, es läuft wieder gut, und dann kommt die nächste Keule.“

Silvretta Bielerhöhe, Silvretta Hochalpenstraße
Das Restaurant Silvrettasee hat zurzeit geschlossen.
Silvretta Bielerhöhe, Silvretta Hochalpenstraße
Manche Menschen würden das Schild ignorieren oder übersehen und trotzdem die Tür aufmachen wollen, berichten Rune und Maximilian.
Silvretta Bielerhöhe, Silvretta Hochalpenstraße
Das Lädili mache weiterhin guten Umsatz.
Silvretta Bielerhöhe, Silvretta Hochalpenstraße
Peter Oberschmid betreibt seit 30 Jahren das Gasthaus Piz Buin. Es wird seit 100 Jahren von seiner Familie schon geführt.

Zur Mittagszeit sind draußen zehn Tische belegt. Dabei lässt das Wetter keine Wünsche offen. An einem dieser Tische sitzen die Schwestern Hanni Gröblacher und Margit Spratler mit ihrem Enkelkind. Sie sind Stammgäste im Gasthaus Piz Buin und haben schon zum zweiten Mal den Shuttleservice genutzt. Hanni wohnt in Gortipohl und merkt, dass die Hochalpenstraße zu ist, denn es ist ruhiger bei ihr geworden. „Es fahren fast keine Motorradfahrer mehr bei uns vorbei.“

Silvretta Bielerhöhe, Silvretta Hochalpenstraße
Der Berggasthof Piz Buin liegt direkt an der Straße und profitiert auch stark vom Durchreiseverkehr.
Silvretta Bielerhöhe, Silvretta Hochalpenstraße
Auf der Sonnenterrasse des Gasthauses Piz Buin kann man es gut aushalten.
Silvretta Bielerhöhe, Silvretta Hochalpenstraße
Harry und Andreas aus Stuttgart sind mir ihrem E-Bike von Galtür aus hochgeradelt.
Silvretta Bielerhöhe, Silvretta Hochalpenstraße
Diethelm Schüller aus Aachen hat eine Hüttenrunde hinter sich und muss nun wieder nach Galtür absteigen, obwohl er weiter in Richtung Montafon wollte.

Und dann passiert doch noch ein kleines Wunder: Ein Reisebus aus Leipzig kommt an. „Wir wollten aus dem Montafon hinauffahren. Es ist schade, dass die Silvretta Hochalpenstraße zu hat, doch was im Programm steht, das müssen wir auch machen“, sagt Reiseleiterin Dagmar Bachler. Rune und Maximilian, die den Kiosk und Lädili betreiben, freut das natürlich.

Silvretta Bielerhöhe, Silvretta Hochalpenstraße
Der Uferweg ist gesperrt.
Silvretta Bielerhöhe, Silvretta Hochalpenstraße
Der Reisebus aus Leipzig ist der einzige Reisebus an diesem Tag, der den Weg auf die Bielerhöhe gefunden hat.
Silvretta Bielerhöhe, Silvretta Hochalpenstraße
Auch eine Motorradfahrerin machte hier Halt.
Silvretta Bielerhöhe, Silvretta Hochalpenstraße
Alexis Fassel aus Straßburg will ebenfalls auf die Saarbrücke Hütte und dann weiter in Richtung Seelücke.