Vorwurf eines Sexualverbrechens: Prozess in Feldkirch

VN / 19.09.2024 • 20:20 Uhr
Gericht
Der Angeklagte zeigte sich von Beginn an nicht geständig. Eckert (2)

35-jähriger Unterländer wurde Jahrzehnte nach seinen Sexualverbrechen verurteilt.

Feldkirch Die Anklage ist erschütternd: Ein heute 35-jähriger Unterländer wird bei der Verhandlung am Landesgericht Feldkirch beschuldigt, im Zeitraum von 2003 bis 2006 einen damals Minderjährigen sexuell missbraucht zu haben. Dasselbe soll er von 2004 bis zum Sommer 2006 einem ebenfalls minderjährigen Mädchen angetan haben.

Nicht geständig

Als Angeklagter vor Gericht zeigt er sich nicht geständig, vielmehr zitiert er vor Richter Sabrina Tagwercher seine heute 70-jährige Mutter, die gesagt haben soll: „Ich stehe zu 200 Prozent zu meinem Pflegesohn.” Denn sie sei immer überzeugt gewesen, dass er selbst als jener Bub, der mit einem Jahr in Pflege kam und bis ins Erwachsenenalter bei ihr blieb, sich weder an seinem “Neffen” noch an seiner „Nichte“ vergangen hatte.

Und wie es beim Vorwurf des Kindesmissbrauchs häufig der Fall ist: Es bilden sich zwei Gruppen. Die eine ist von der Unschuld des Täters überzeugt, die andere glaubt den Opfern. Auch in diesem Fall sind klar zwei Gruppierungen erkennbar. Der Angeklagte selbst ist heute 35 Jahre alt, verheiratet, Familienvater, hat einen Job und kann sich laut eigener Aussage nicht erklären, wie die angeblichen Opfer von damals und mittlerweile Erwachsenen auf solche „Geschichten“ kommen.

„Nichte“ stimmt nicht ganz, weil kein verwandtschaftliches „Onkelverhältnis“ vorlag, sondern der Angeklagte als Pflegekind aufgewachsen war. Jedenfalls traf man sich regelmäßig zum sonntäglichen Brunch in der Unterländer Wohnung. Die Großeltern des damals sechsjährigen Mädchens luden dazu ein. Der Opa, damals ein führender Polizeibeamter, hat zurzeit ebenfalls ein Ermittlungsverfahren bei der Staatsanwaltschaft laufen. Bei ihm besteht – so die Anklägerin Julia Berchtold – ebenfalls der Verdacht des Kindesmissbrauchs.

Tatort Dienstwohnung

Bei diesen Familientreffen in der Dienstwohnung des Beamten aß man erst gemeinsam, dann gingen die Kinder zum Fernsehen und Playstation spielen in das Zimmer des Angeklagten. Dort nahm der damals 16-Jährige die Sechsjährige unter seine Decke und missbrauchte sie, während die anderen Kinder wie gebannt auf den Fernseher starrten. So kam es zwei Jahre regelmäßig auch zu Vergewaltigungen.

Auch der Bruder des Mädchens wurde etwa im gleichen Alter zum Opfer sexuellen Missbrauchs durch den Beschuldigten, doch er konnte sich vor Gericht nicht mehr an den konkreten Zeitraum erinnern. So erging diesbezüglich ein Freispruch, weil der Angeklagte damals unter Umständen noch nicht strafmündig war.

Angst vor dem “Polizei-Opa”

Auch ein drittes Opfer, heute ebenfalls eine erwachsene Frau, gab an, vom Angeklagten missbraucht worden zu sein. Doch diese Spur verläuft im Sand, denn der Täter war damals ebenfalls noch nicht strafmündig. Die beiden Mädchen und auch der Junge vertrauten sich damals der Verwandtschaft an, doch vor allem von der Großmutter wurde die Situation heruntergespielt – als Doktorspiele, „nichts passiert“ usw. abgetan. Somit konnten die Kinder die Übergriffe nicht einordnen, weil sie die Erwachsenen als „normal“ bezeichneten und nichts dagegen unternahmen.

„Erst als Erwachsene suchten sie bei uns Rat“, erzählt Opferanwältin Olivia Lerch. Vor allem vor dem „Opa im Polizeidienst“ hatten die Mädchen Angst. Nun muss der Angeklagte zwanzig Jahre später für seine Taten bezahlen: 20.000 Euro an die damals Sechsjährige und fünf Monate Gefängnis lautet das Urteil. Weitere zehn Monate Haftstrafe werden auf Bewährung ausgesprochen. Das Urteil ist nicht rechtskräftig.

Ruth Rüdisser
Ruth Rüdisser, Psychologin und Psychotherapeutin weiß, dass Anzeigen häufig erst viele Jahre später erfolgen.