Unterschätztes Fest mit Sprengkraft

VN / 07.06.2025 • 08:08 Uhr
Die Taube als Symbol für den Geist hat im Empfinden der Menschen keine allzu große Karriere gemacht – außer in der Kunst. Romanisches Relief „Taufe Christi“ an der Nordwand des Benediktinerinnenklosters St. Johannes Baptist in Müstair. (Foto: Thomas Matt)
Die Taube als Symbol für den Geist hat im Empfinden der Menschen keine allzu große Karriere gemacht – außer in der Kunst. Romanisches Relief „Taufe Christi“ an der Nordwand des Benediktinerinnenklosters St. Johannes Baptist in Müstair. Thomas Matt

Pfingsten fordert uns heraus: Verständigung, Hoffnung und Mut, dem anderen Recht zu geben

Bregenz „Pfingsten“, schrieb Bertolt Brecht 1934 in seinen „Kinderliedern“, da „sind die Geschenke am Geringsten – während Ostern, Geburtstag und Weihnachten etwas einbrachten“. Weihnachten und Ostern haben klare Traditionen: die Musik, die Dekorationen. Pfingsten ist anders. Immerhin: Schokoladentauben sind uns bislang erspart geblieben.

„Ja“, sagt Ralf Stoffers, „Pfingsten ist das am schwersten zu vermittelnde Fest. “ Und das wundert ihn: „Es hat am meisten mit dem Alltag der Menschen zu tun. “ Die Pfingstgeschichte erzählt von einer Menschenmenge. „Da steckt Vielfalt drin. “ Alles dreht sich darum, dass die Jünger hinausgehen „und Verständigung möglich wird“. Eben noch hatten sie Angst um ihr Leben. Was beflügelte sie? Die Bibel sagt: Gott schenkte ihnen Lebensenergie und Geisteskraft. Heute macht eine ganze Industrie mit diesen Begriffen viel Geld. „Das ist ein riesiger Markt.“ Doch die christliche Botschaft unterscheidet sich: „Sie ist gratis, aber hoffentlich nicht umsonst“, sagt Stoffers. 

Pfingsten ist für ihn das Hoffnungsfest schlechthin. Verständigung ist heutzutage ein Wunder. „Menschen können die gleiche Sprache sprechen und aneinander vorbeireden. “ Dass Verständigung und Zuhören möglich sind, erstaunte selbst die Apostel in Jerusalem: „Die waren regelrecht entsetzt. Und Mutmaßungen machten die Runde: Ob die wohl betrunken sind? Aber das waren sie nicht. „Pfingsten lädt ein, zuzuhören und ins Gespräch zu kommen.“ Und nichts bräuchte die Welt dringender. „Pfingsten fordert uns auf, Räume zu schaffen, in denen Menschen ausdrücken können, was sie bewegt. Menschen hören zu, denken miteinander nach, finden Lösungen oder verharren gemeinsam. “ Das wäre notwendig, denn „in den wilden Debatten unserer Tage geht es nur darum, eine Meinung rauszuhauen und den anderen für dumm zu erklären“. Ralf Stoffers ist überzeugt, „dass uns das ins Verderben führt“.

Unterschätztes Fest mit Sprengkraft: Ralf Stoffers ist Österreichs neuer Landessuperintendent. Pfingsten ist für ihn „ein Fest der Hoffnung wider den Augenschein“. (Foto: epd/Uschmann)
Ralf Stoffers ist Österreichs neuer Landessuperintendent. Pfingsten ist für ihn „ein Fest der Hoffnung wider den Augenschein“. epd/Uschmann

„Jeder sieht nur seins. “ Dabei könnte es anders sein: Wenn ein Gespräch gelingt, entsteht etwas Neues. „Aber wir haben das Zutrauen in dieses Wunder verloren. “ Deshalb wirkt Pfingsten wie eine offene Hand: „Es liegt an uns, ob wir uns beschenken lassen wollen. “

Der christliche Glaube gewinnt seine Stärke aus der Praxiserfahrung, sonst bleibt er eine leere Hülle. Für Stoffers ist Pfingsten „ein unterschätztes Fest“, ein „Stiefkind des Glaubens“. Vielleicht auch, weil es für das eigene Leben gefährlich sein kann: „Es könnte ja sein, dass ich feststelle, dass der andere recht hat. “

Darum feiern wir Pfingsten

Vor rund 2000 Jahren verbreitete sich die frohe Botschaft des Jesus von Nazareth. Das machte den Verantwortlichen im Römischen Reich richtig Angst. Jesus predigte Nächstenliebe. Er verhieß ein Reich der Gerechtigkeit und des Friedens. Zunächst folgten ihm nur ein paar Fischer und einige Frauen. Die Apostelgeschichte erzählt, wie die kleine Gemeinschaft nach Jesu Kreuzigung zu einer Bewegung heranwuchs, die die Mittelmeerwelt erfasste. Ihren Ausgangspunkt nahm sie in Jerusalem während des jüdischen Wochenfestes, fünfzig Tage nach Pessach. Die Jünger erfuhren, dass sie, die aus Galiläa kamen, von Anwesenden aller Ethnien verstanden wurden. Dieses Ereignis gilt Christen als Gründungsdatum der Kirche: Pfingsten.

Zur Person

Am 1. September 2025 tritt der evangelische Pfarrer von Bregenz, Ralf Stoffers (55), seinen Dienst als Landessuperintendent an. Damit ist der verheiratete dreifache Familienvater für ca. 11.000 Gläubige in den neun Gemeinden der reformierten Kirche in Österreich zuständig.