Thomas Matt

Kommentar

Thomas Matt

Streiflicht: Kindisch war einmal harmlos

VN / 11.06.2025 • 10:26 Uhr

Das Kind spielt zum ersten Mal Fangen. Es birgt die Augen in den Handflächen. Jetzt kann es nichts mehr sehen. Dann ist es für auch für andere unsichtbar, denkt das Kind und fühlt sich sicher. Diese Geste zählt zu den entzückendsten Kinderbildern, die wir haben. Die Illusion währt freilich kurz. „Hab Dich!“, ruft ein anderes Kind und belehrt es über Wunsch und Wirklichkeit.

Später schwindelt das Kind. Es hat Schokolade stibitzt. Die Versuchung war zu groß! Aber die Mutter hat den Fehlstand bemerkt. Sie muss allwissend sei. (Diese Illusion hält sich entschieden länger.) Sie schaut das Kind an und braucht gar nichts zu sagen. „Ich war das nicht“, liegt dem Kind auf den Lippen. Aber die Unwahrheit ist entlarvt, ehe sie ausgesprochen wird. So lernt das Kind zwischen Lüge und Wahrheit zu unterscheiden.

Kinder werden erwachsen. Diese grundlegenden Lektionen sind dann längst passé. Und doch schlagen sich Millionen Menschen die Hände vor die Augen, um der Wirklichkeit zu entfliehen. Unzählige lernen begierig, dass die Unterscheidung von Richtig und Falsch gar keinen Wert hat. Dann ist ja alles erlaubt! Sie benehmen sich wie die Kinder von damals. Nur ist es diesmal brandgefährlich.