Thomas Matt

Kommentar

Thomas Matt

Streiflicht: In Flipflops am Berg

VN / 27.08.2025 • 07:50 Uhr

Ihr Freund nennt sie Lynn. Sie steht mit dem Rücken zum Abgrund. Er knipst. Sie lächelt. Doch ihre Flipflops sind nicht für die Felsen gemacht. Tapfer humpelt sie in die Bergwelt des Alpstein und denkt wohl: Auf der Website sah das anders aus.

 Die Alpen ächzen. Die Strände sind erschöpft. In den Museen rühren sie schon mal den Mörtel an. Gibt es eine Statistik, wie viele antike Statuen im Sturm touristischer Begeisterung heuer Körperteile verloren haben? Ein Finger, drei Nasen, ein Faltenwurf – so in der Art? 1957 lud Ventimiglia noch zur „19. Battaglia de Fiori“. Heute wird am Pool gekämpft. Mit Handtüchern bewaffnet erobern Urlauber ihren Platz, der nach dem dritten All-inclusive-Drink auch wie ein Schlachtfeld aussieht.

 Der Tourismus erzählte lange Zeit eine Geschichte der Entfremdung im besten Sinn des Wortes: Reisende lernten Orte schätzen, die ihr Volk einst bedrängt, erobert oder beschossen hatte. Und sie waren willkommen: Gemeinden verdankten jahrzehntelange Treue mit Ehrennadeln. Aus Fremden wurden Freunde. Was hat sich verändert? Viel. Heute können alle reisen. Billig und online. Die Erwartungen sind immens. Was der Erholung dienen sollte, wird zum Stress. Reisen bilden nicht mehr, sie unterhalten. Der Geldsegen hat der Gastfreundschaft nicht gutgetan. Was aber, wenn Entfremdung sich zur Befremdung wandelt? Der Weg zurück ist steinig. Für Flipflops völlig ungeeignet.