Thomas Matt

Kommentar

Thomas Matt

Streiflicht: Abgestumpft

VN / 17.06.2025 • 10:29 Uhr

Jetzt sollte man die Sonne auf der Haut genießen, das beste Erdbeereis der Saison schmecken, den Wind in den Haaren spüren und sich so federleicht zu einem zweiten Cocktail überreden lassen. Und das tun wir auch. Solange uns die Nachrichten vom neuen Krieg und der Gefahr atomarer Schläge nicht die Laune verdirbt.

Aber können sie das? Wir reagieren ein wenig abgebrühter als zuvor. Wer Verwandte und Freunde in Nahost hat, erschrickt bei jedem Telefonklingeln. Aber die anderen? Schon hat der neue Krieg seinen Platz an der Spitze der Schlagzeilen zeitweilig verloren. Man kann ja nicht jede Rakete prominent nacherzählen. Und überhaupt: „Was wir wirklich wissen“ – diese Rubrik ist Standard der medialen Berichterstattung geworden, oft bleibt sie leer und schal.

Wir gewöhnen uns an den Ausnahmezustand. Die Coronapandemie war ein guter Lehrmeister. Sie hat uns eine Gewissheit hinterlassen: Dass sie sich jederzeit wiederholen kann. Die große Ohnmacht gegenüber den Ereignissen ist seither unser ständiger Begleiter. Sie hat uns nicht mutiger, sondern gleichgültiger werden lassen. Gleichgültigkeit abstrahiert das Sterben. Es geschieht woanders. Weit weg. Nur, wenn wir um unsere Kinder fürchten, erschrecken wir. Für einen kurzen Augenblick der Mitmenschlichkeit.