Streiflicht: Der Schmeckende
Der „homo sapiens“ ist nach gängiger Lesart der wissende Mensch, aber das lateinische Zeitwort „sapere“ bedeutet auch schmecken oder riechen. Das wird zu Unrecht vernachlässigt. Jetzt zaubert uns die edle antike Herkunft gleich Räucherlachs vor Augen, mit Limettenblättern und Zitronengras. Muss aber gar nicht sein. Der schmerbäuchige Mann dort drüben etwa lehnt am Tresen eines Würstelstands. Hat eine Käsekrainer bestellt. Der Stand ist brandneu. Sein Pächter brät noch eilfertig um die Gunst seiner Kunden.
Der Mann ist hungrig. Seine Augen folgen jeder Bewegung des Würstelbraters. Das Geld hat er schon abgezählt zur Seite gelegt. Aber gut Ding braucht Weile. Erst, als sie krossgebraten ist, nimmt der Koch die Wurst von der heißen Platte und schneidet sie in kurzen, gut geübten Bewegungen in Scheiben. „Senf?“ „Einen süßen bitte.“ „Brot oder Semmel?“ Der Koch schneidet eine Scheibe Schwarzbrot ab und schiebt die heiß ersehnte Mahlzeit dem Gast hinüber.
Wer nur die Haute Cuisine schätzt, wird nicht erahnen, dass mit dem ersten Bissen eine Beziehung beginnt oder gleich wieder endet. Aber es sieht gut aus: Der Mann kaut mit geschlossenen Augen. Die leisen Schmatz-Geräusche stören hier niemanden. Er isst mit solcher Hingabe … Der Volksmund sagt: Genuss macht schön. Ein „homo sapiens“ in Reinkultur, wo wir ihn nie erwartet hätten.
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