Erwachsensein ist auch nicht einfach

Unverhofft passiert doch oft, aber reicht das wirklich? Doris Knecht geht auf Tuchfühlung
Schwarzach „Ja, Nein, Vielleicht“ nennt sich Doris Knechts druckfrischer Roman. Zentrales Element ist eine Frau über der Lebensmitte, die nach all den Höhen und Tiefen beschlossen hat, ein Leben ohne Partnerschaft zu führen. Eine Wahl, die bewusst getroffen wurde, die Ich-Erzählerin braucht den Platz für sich alleine. „Denken ist solitär. Alleinsein ist eine gute Sache“, wird hier Ingeborg Bachmann zitiert und damit basta! So einfach wäre es natürlich nur dann, wenn sich nicht doch wieder ein Mann ins Leben der Ich-Erzählerin schwindeln würde. In diesem Fall Friedrich, ein näherer Freund aus der Jugend, mit dem sie einige interessante und intensive Abende verbracht hat, unter anderem den Abend zur Jahrtausendwende in New York City, aber nicht klassisch berauschend, sondern eher zufällig, in einer österreichischen Studenten-WG im off, passt eh. Ausgerechnet diesen Friedrich trifft sie nun zufällig im Supermarkt bei ihrem Zweitwohnsitz in Niederösterreich. Schon bald wird klar, dass Friedrich mehr als ein Zufall ist und es stellt sich die Frage, will man weiterhin alleine – mit dem Freundeskreis – das Leben verbringen, oder sich wieder “auf ein Packl hauen”.
Ping-Pong, zwischen Versuchung und Distanzierung
“Ja, Nein, Vielleicht”, der wunderschöne Titel des Romans erinnert an die vielleicht wichtigste Oasis-LP ever: “Definitely Maybe.” Diesen Tonträger und einige Independent-Stücke aus den 1980er-Jahren könnte man als Soundtrack zu dem wirklich gelungenen Roman spielen. Die Autorin versteht es, mit fein gesponnenen Gedankenspielen die Gegenwart mit der Vergangenheit zu verknüpfen und so das sehr impulsive Leben einer bewusst solitären Frau zu beschreiben, die alleinerziehend Zwillinge gut ins Erwachsenenleben brachte und in den wesentlichen Momenten ihres Lebens immer ihre Frau stand – wenn nicht dann und wann doch noch ein Mann ihre Pläne durchkreuzte. „Man muss nur aufpassen, dass es diesen Mann nicht gibt, das ist alles“, ein Zitat aus dem Roman, der über das Nachtkästchen der Protagonistin genagelt sein könnte. Die Autorin versteht das Ping-Pong-Spiel zwischen Versuchung und Distanzierung sehr gut, auch gibt es feine kleine Geschichten, beispielsweise über die Ex-Schwiegermutter Gisela oder über einen Abend unter Freunden in einer feinen Wiener Altstadtwohnung. Dazu kommentiert sie gelegentlich ihren Roman, um dann wieder einzutauchen, beispielsweise in ihr Leben als engagierte Trauzeugin für eine Freundin oder ein plötzliches Hochwasser, das zumindest ihr Haus am Land gefährdet, wo sie Friedrich vor eine entscheidende Antwort stellt. Ein gelungener Roman, das Leben ab 50 kann auch gut sein.
Gesellschaftsanalyse trifft Satire
Mit Nell Zinks neuem Roman “Sister Europe” geht es in die deutsche Haupt- und Millionenstadt Berlin. Der Leser begleitet den Kunstkritiker Demian, seine pubertierende, transsexuelle Tochter Nicole, den mittelalte Mann Toto mit seiner viel jüngeren Internetbekanntschaft Avianca, einen arabischen Prinzen namens Radi, den Polizisten Klaus und die wohlhabende Frau Livia eine Nacht lang durch Berlin. Wer Small Talk erwartet hätte, liegt hier falsch: In “Sister Europe” trifft Zink den Zahn der Zeit, analysiert unsere Gesellschaft und nähert sich mit Leichtigkeit und Humor Themen wie Transsexualität, Wokismus, Gentrifizierung sowie Nationalsozialismus. Mit einer provokanten und intelligenten Herangehensweise verwebt Zink die Geschichten ihrer Figuren in ein Spinnennetz voller Komik und Missverständnisse. Wirklich lesenswert!