Kommentar: Die Vorarlbergerin in mir hat es so befohlen
Also zunächst einmal: Bitte, ich weiß, wie früh aufstehen geht, ich war ja lange genug Alleinerzieherin von zwei Schulkindern. Die sind, das traue ich mich zu behaupten, in all ihren Schuljahren zwei-, höchsten dreimal wegen mütterlichen Verschlafens zu spät zur Schule gekommen. Ich verschlafe nicht. Ich komme nicht zu spät. Ich bin, das ist die übereinstimmende Meinung meiner Wiener Freundinnen und Freunde, auf extrem enervierende Weise pünktlich. Ich glaube, viele meiner Bekannten nennen mir bei Einladungen eine falsche Uhrzeit; wenn alle anderen um acht eingeladen sind, lädt man mich auf Viertelnachacht ein – während ich wiederum meine schlimmsten Zuspätkommer auf elf einbestelle, wenn mein Essen um zwölf fertig ist. Pünktlich um zwölf selbstverständlich, wie es sich für eine ordentliche Vorarlbergerin gehört.
Letzten Dienstag hatte ich einen sehr frühen Zug nach Berlin zu erwischen, Abfahrt um 6.20 in Wien Meidling auf Bahnsteig 5. Ich ging angemessen zeitig zu Bett, stellte mir zwei Handywecker, einen auf 4.50 Uhr, einen auf 5.00 Uhr. Im Dunkel der Nacht wachte ich davon auf, dass ein Muskel in meiner rechten Wade sich schmerzhaft verkrampfte und nicht mehr loslassen wollte, es dauerte ewig, den Muskel wieder in die Entspannung zu bekommen, es tat gehörig weh. Danach war ich wach, und dann fiel mir auch ein, dass ich in der Früh nach Berlin fahren würde und ich dachte, schau ich doch mal, wie lange ich noch schlafen kann. Es war 5.33 Uhr.
Ihr könnt euch nicht vorstellen, wie schnell ich aus den Federn geschossen bin und dabei überschlug, wie viel Zeit ich hatte, um aus dem Haus zu kommen. 17 Minuten. Glücklicherweise, oder vielmehr, weil es mir die Vorarlbergerin in mir am Abend davor befohlen hatte, war natürlich alles fertig gepackt und ich hatte mir auch schon mein Reisehäs ordentlich zurechtgelegt. Nachdem ich nach einer schnellen Aufwachdusche und einem doppelten Espresso auf ex noch das Bett gemacht hatte, schloss ich die Wohnungstüre hinter mir, 5.49 Uhr wars und das Bett war auch gemacht, weil ratet, wer mir jeden Tag erklärt, dass man die Wohnung auf keinen Fall verlassen kann, solange das Bett nicht gemacht ist, es könnte einem ja draußen etwas zustoßen, und dann… Ja, genau. Das steckt auch nach all den Jahrzehnten in Wien stabil in mir drin, und so unauslöschlich, dass mein Unterbewusstsein mich mit einem sich zu einer Faust ballenden Muskel aus dem Schlaf reißt, damit ich meinen Zug nicht verpasse.
Ich schreibe auch das wieder in einem Zug, einem anderem, dem ins Ländle, und nein, diesmal habe ich nicht verschlafen.
Doris Knecht liest am Dienstag, 30. September 2025, um 20 Uhr im Spielboden Dornbirn aus ihrem neuen Roman.
Doris Knecht ist Kolumnistin und Schriftstellerin. Sie lebt mit ihrer Familie in Wien und im Waldviertel.
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