Kommentar: Eine für die Würde aller Frauen
Ein Mann vergewaltigt eine schlafende Frau und behauptet vor Gericht allen Ernstes, er sei selbst Opfer einer Manipulation gewesen. Der damalige Ehemann der Schlafenden habe ihm erklärt, seine Frau stelle sich nur schlafend, es handle sich um ein Spiel. Vergangene Woche wurde das selbsternannte Manipulationsopfer, der 44-Jährige Husamettin D., in seinem Berufungsverfahren zum Fall der betäubten und vergewaltigten Gisele Pelicot zu zehn Jahren Haft verurteilt – und damit zu einem Jahr mehr als bei der ersten Gerichtsentscheidung im Dezember 2024.
Husamettin D. hatte nach dem erschütternden Vergewaltigungsprozess von Avignon als einziger der 51 Verurteilten auf einem Berufungsverfahren bestanden. Das Gericht in Nimes prüfte die von Gisele Pelicots Ex-Mann hergestellten Videoaufnahmen, auf denen das Tatgeschehen zu sehen ist. Viele der im Gerichtssaal Anwesenden mussten sich von den Bildern abwenden.
Die heute 72-jährige Gisele Pelicot wurde von ihrem damaligen Ehemann Dominique Pelicot über Jahre hinweg mit Medikamenten betäubt und von ihm, aber auch von zahlreichen weiteren Männern vergewaltigt. Die Täter lernten sich in Internetforen kennen, Dominique Pelicot filmte und fotografierte 200 Gewalttaten. Zu Beginn des ersten Prozesses gestand der mittlerweile 72-Jährige und erklärte, dass er und alle 50 Mitangeklagten Vergewaltiger seien. Auch hier versuchten einige Täter, sich aus der Verantwortung zu stehlen und behaupteten, sie seien überzeugt gewesen, sich an einem „erotischen Spiel“ zu beteiligen.
Gegen alte Bilder
Gisele Pelicot wählte im Oktober 2024 bewusst ein öffentliches Verfahren, um den unbekannten Opfern von unter Betäubung verübten Vergewaltigungen ein Gesicht zu geben: „Ich spreche für all die Frauen, die unter Drogen gesetzt werden und es nicht wissen, ich tue das im Namen all der Frauen, die es vielleicht nie wissen werden.“ Ein Schritt, der so selbstlos wie mutig ist und Pelicot weit über Frankreich hinaus zu einer feministischen Ikone gemacht hat. Zu einer Frau, die für die Würde der Überlebenden sexueller Gewalt einsteht. Im Berufungsprozess trat sie den Ausreden des Angeklagten klar entgegen: „Zu welchem Zeitpunkt habe ich Ihnen meine Zustimmung gegeben? Niemals.“
Es sind alte Bilder, gegen die Pelicot ankämpft: Gegen die Vorstellung mancher Männer, Frauen seien ihr Eigentum; gegen die absurde Annahme, Frauen wären mit Übergriffen schon irgendwie einverstanden, wenn sie sich nicht mit einer Waffe wehren (können); gegen den Frauenhass, der in Onlinegruppen geschürt wird. Gisele Pelicot hat viel Bewusstsein für diese Missstände geschaffen. Die Gemeinschaft und die Politik sollten daraus konkrete Schlüsse ziehen.
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