Im Dialog mit VN-Kommentator Harald Walser

VN-Kommentatoren-Reihe: Historiker Harald Walser fordert mehr Visionen in der Politik
Götzis Bereits zum zweiten Mal fand am Mittwochabend in St. Arbogast in Götzis die VN-Kommentatoren-Reihe statt. Gastgeber Michael Prock, Politikchef der „Vorarlberger Nachrichten“, begrüßte mit Daniel Mutschlechner von St. Arbogast diesmal den Historiker, ehemaligen Direktor des Gymnasiums Feldkirch und früheren Grünen-Nationalratsabgeordneten Harald Walser. Die Veranstaltungsreihe lädt Gäste dazu ein, mit den Kommentatoren über aktuelle politische Entwicklungen zu diskutieren. Das Interesse am Austausch mit Harald Walser war groß: Besonders gefragt waren seine Einschätzungen zur aktuellen Bundesregierung, zur Rolle der Grünen und zur politischen Lage insgesamt. Walser machte deutlich: „Es braucht Politik mit Vision und einen starken gesellschaftlichen Zusammenhalt, um das Auseinanderdriften der Gesellschaft zu verhindern.“
Kompromisskultur im Wandel
„Unser politisches System in Österreich und Europa ist auf Kompromisse ausgerichtet. Doch jeder Kompromiss wird heute in der Öffentlichkeit als faul dargestellt“, sagt Walser. Er betonte, dass diese zum politischen Alltag gehören und es notwendig sei, aufeinander zuzugehen. Diese Kultur des Ausgleichs gehe in Europa jedoch zunehmend verloren. „Oft entsteht der Eindruck, es gebe nur noch Sieger und Verlierer, wie im Sport“, kritisierte er.
Politiker mit Visionen dringend gesucht
Walser analysierte, dass sowohl die aktuelle Bundesregierung als auch Politiker in ganz Europa Visionen bräuchten. „Wenn ich mir die einzelnen Persönlichkeiten ansehe, weiß ich nicht, in welche Richtung sie das Land führen wollen oder wofür sie stehen“, sagte er. Es fehle an Führungspersönlichkeiten, die klare Ziele vorgeben. „Bei Kreisky wusste man, wohin er wollte.“ Gerade in unsicheren Zeiten seien Visionen und charismatische Persönlichkeiten mit positivem Führungsstil besonders wichtig. Ein Blick in die USA zeige, dass der Präsident dort klar kommuniziere, wohin er das Land führen wolle, davon könne man halten, was man wolle, aber die Richtung sei erkennbar.
Sprechblasen und Vertrauensverlust
Ein Besucher fragte Walser, ob Politiker überhaupt noch verlässlich seien, angesichts von Skandalen wie der Führerschein-Affäre. Walser warnte vor Pauschalurteilen: „Es gibt durchaus Politiker, die zu ihrem Wort stehen.“ Die Gesellschaft müsse vorsichtiger mit Verallgemeinerungen umgehen, da diese das Misstrauen schüren und gefährlich werden könnten. „Wer als Politiker eine Vision hat, ist gefordert, klarer zu kommunizieren.“ Politische Floskeln seien oft Ausdruck von Unsicherheit und Hilflosigkeit.
Reformen dulden keinen Aufschub
Mit Blick auf die nächste Legislaturperiode in Wien äußerte Walser Sorge vor einem weiteren Rechtsruck und forderte rasche Reformen, besonders im Bildungssystem. „Wenn ein Viertel bis ein Drittel der Pflichtschulabgänger mangelnde Lesekompetenz aufweist, müssen alle Alarmglocken läuten.“ Auch zu Einsparungen im Sozialbereich fand Walser klare Worte: „Das geht in die falsche Richtung.“ Werden Vereinsförderungen gekürzt, fürchtet er eine weitere gesellschaftliche Spaltung: „In den Vereinen finden Menschen Gemeinschaft.“ Der gesellschaftliche Zusammenhalt sei das „Bindemittel“, das so dringend benötigt wird. Falle dies weg, spaltet sich die Gesellschaft noch mehr.
Kommende Live-Gespräche
Michael Prock und Harald Walser bedankten sich für das große Interesse und führten die nächsten Termine bereits an: Am 21. Januar ist Reinhold Bilgeri zu Gast, am 25. März 2026 Reinhard Haller. Die VN-Leserinnen und -Leser dürfen sich auf weitere spannende Abende freuen. BVS