Acht Jahre liebevolle Pflege, trotzdem Schuldspruch

Rentner opferte sich auf, am Schluss fällte er laut Gericht eine „rechtlich“ falsche Entscheidung.
Feldkirch Kennengelernt haben sich der heute 66-jährige Rentner und die damals 65-jährige Bregenzerin in einem Second-Hand-Geschäft. Der Mann arbeitete dort, sie kaufte ein. Wegen ihres Rheumas bat sie ihn, ihr die Einkaufstaschen hinaus tragen. Mit diesem kleinen Hilfsdienst begann eine Freundschaft, die von zunehmender Hilfestellung für die Kranke getragen war. Ihr einziger Sohn sei nie zur Stelle gewesen, erzählt der nun am Landesgericht Feldkirch wegen Vernachlässigung angeklagte Rentner. Sie bat den Fremden, zu ihm zu ziehen, was er auch tat, um ihr zur Hand zu gehen.
Mit der Zeit kamen immer mehr gesundheitliche Beschwerden und Verletzungen, die Probleme machten, dazu. Knie- und Schulter-OP, Bruch eines Halswirbels, zu hoher Zucker, starkes Rheuma, welches die Frau fast zur Unbeweglichkeit verurteilte und Arthrose. „Sie hatte so gut wie alles“, fasst der Angeklagte die Beschwerden unter Tränen zusammen. Dennoch beschreibt sie eine Mitarbeiterin der Hauskrankenpflege als “fröhlich”.
Pflegestufe eins
Eingestuft war die kranke Frau mit Pflegestufe eins, 200 Euro wurden zugestanden. Hilfe brauchte sie allerdings bei fast allem. Die Hauskrankenpflege versorgte das Druckgeschwür am Rücken. Doch die Krankenkasse schickte der Pflege oft zu spät das nötige Verbandsmaterial, der Rentner hingegen besorgte es persönlich und sofort. Er hatte oft genug zugesehen, geschickt geholfen und mit der Zeit gelernt, wie Wundpflege zu handhaben ist. Deshalb wollte die Patientin, dass nurmehr er die Pflege übernehmen solle. Das machte der Mann auch selbstlos und es funktionierte so weit ganz gut. Doch dann wurden die Schmerzen immer schlimmer, die Probleme immer größer. Der Angeklagte machte für die Frau alle Besorgungen, fuhr sie zum Arzt, ins Spital, kümmerte sich um ihre Katze und das über acht Jahre hinweg.
Große Hilfe
Bei ihm nagte die Pflege auch an der Substanz, doch die Frau flehte ihn immer wieder an: „Tu mir das bitte nicht an, nicht ins Spital!“. Dann kam noch eine Durchfallerkrankung dazu, der Mann kam mit Putzen und Reinigen nicht mehr nach. Die Wohnung geriet in Unordnung, doch wieder bat ihn die Kranke „Das kannst Du putzen, wenn ich im Spital bin, bleib bitte bei mir, das ist jetzt wichtiger“. Die Kranke schätzte seine aufopfernde Pflege und hielt die Schmerzen, die sich mit der Zeit aufgrund von Hautverletzungen, Infektionen und großflächigen Hautablösungen einstellten, lieber aus. “Es gab keinerlei finanzielle oder sonstige Hintergedanken, die Frau war im Kopf völlig klar und sie wollte einfach nicht aus ihrem Zuhause weg”, fasst Verteidiger Harald Bösch die Hintergründe noch einmal zusammen.
14 Fragen
Eine Woche vor ihrem Tod durch einen Herzinfarkt eskalierten die Wundläsionen und auch die Verschmutzungen lagerten sich immer mehr in Hautfalten ab. Der Mann bestand auf das Spital und die Frau stimmte endlich zu, sich „nach dem Feiertag“, das war einen Tag später, ins Krankenhaus zu begeben. Dazu kam es nicht mehr. Sie verstarb in der Nacht. Sachverständige Elke Doberentz, Gerichtsmedizinerin, kam in 14 Antworten zu dem Ergebnis, dass das Wundmanagement zumindest eine Woche lang zu kurz gekommen ist und die Frau dehydriert war. „Auch für mich ist klar, dass Ihnen die Frau sehr am Herzen lag und Sie sich acht Jahre lang aufopfernd um sie kümmerten“, so Richter Johannes Reheis. „Aber Sie hätten auch gegen den Willen der Frau ärztliche Hilfe holen müssen“, so die rechtliche Begründung des Schuldspruches wegen Vernachlässigung. Das Urteil, 960 Euro Geldstrafe unbedingt und vier Monate Haftstrafe auf Bewährung, ist rechtskräftig.