Kolumne: Müllhaufen

VN / 15.12.2025 • 17:17 Uhr
Kolumne: Müllhaufen

Was mir träumte, war ungemütlich. Ich lag nämlich auf einem Müllhaufen. Alles, was nichts wert ist, um mich herum. Auch war es kalt, Wind wehte, ich kannte die Gegend nicht. Aber ein Mond am Himmel. Wie im echten Leben. Frauen, Männer und Kinder stapften an mir vorbei, manchmal blieben sie im Müll stecken und mussten Hilfe suchen, um wieder herauszukommen. Sie beachteten mich nicht. Die Menschen trugen Säcke, und was sie einsammelten, war Müll. Den Müll brauchten sie, um zu überleben. Sie beachteten mich nicht.

Ich war nichts wert.

„He“, rief ich, „ich gehöre nicht hierher, ich träume nur!“

„Träum weiter“, sagten die Müllsucher, „bis die Nacht kommt, und die Ratten über dich schleichen.“

Eine Frau sah auf mich herunter, sie setzte sich auf einen Stoffhaufen und machte es sich gemütlich.

„He“, sagte sie, „leg dich zu mir, ich habe die besten Sachen für ein Bett.“ Sie zog mich auf ihren Haufen und deckte mich zu. „Es ist bald nach Weihnachten“, sagte sie, „da werden die besten Dinge weggeworfen, das wird ein Fest für uns.“

„He“, sagte ich, „ich träume doch nur!“

„Träum nur weiter, ich decke dich zu. Da ist ein Bettvorleger aus Fell, der wird uns wärmen. War wahrscheinlich die Schlafstelle für ein verwöhntes Tier. Hast du Geld bei dir?“

„He, ich träume doch nur, im Traum habe ich kein Geld. In Wahrheit und Wirklichkeit liege ich auf einer weichen Matratze, und mein Mann, den ich liebe, liegt neben mir.“

„Du hast es gut“, sagte die Müllfrau. „kannst dir also getrost einen Mülltraum gönnen und dann im Luxus aufwachen. Was gibt es zum Frühstück?“

„Ich liebe frisches Zopfbrot, es riecht nach Hefe, und da schmiere ich Butter drauf, dazu trinken wir Kaffee, mein Mann und ich.“

„Du hast es gut“, sagte die Müllfrau. Sie hatte Haare wie Stroh, und ihr Gesicht war dunkel vor Dreck. „Hast du gewusst, dass Dreck auch wärmt“, fragte sie mich im Traum.

Ich wollte sie so gern zu mir ins echte Leben ziehen, ich wollte sie an unseren Tisch bitten und ihr vom Braten geben. Bald war doch Weihnachten.

„Du wirst es nicht glauben“, sagte die Frau im Traum zu mir, „auf den Müllhaufen haben wir auch Weihnachtsbäume, wir sitzen zusammen und singen traurige Lieder. Hat einer mehr als der andere, muss er teilen, wenn er sich weigert, wird er erstochen. Wir beschenken uns mit gutem Müll, da gibt es halbvolle Flaschen mit Likör, die trinken wir aus, bis wir lustig sind und einschlafen.“

„Und bei euch zu Hause“, frage ich, „ist es da nicht besser? Bei euren Familien?

„Nein“, sagte die Müllfrau, „am besten ist es immer unter Gleichgesinnten, und in der Familie sind nicht immer alle gleichgesinnt.“

Monika Helfer ist Schriftstellerin und lebt in Hohenems.