Rebellischer Charme

Vorarlberg ist weiblich / 07.03.2024 • 14:59 Uhr
Rebellischer Charme
Jeanne Toussaint wählte das Kaffeeblatt als Symbol der weiblichen Unabhängigkeit.

Text: Christiane Schöhl von Norman

Unzählige starke Frauen haben ihre Spuren in der Geschichte hinterlassen, ihre damalige Gegenwart revolutioniert und die Zukunft beeinflusst – ­Pionierinnen, Abenteurerinnen, Wissenschaftlerinnen, Erfinderinnen, ­Widerstandskämpferinnen. Manche wurden übergangen, andere schafften es in die Geschichtsbücher, eine von ihnen ist Jeanne Toussaint.

Früher war die Schmuckbranche von jahrhundertealten Korporationen beherrscht, die streng über die Vorrechte ihrer Mitglieder wachten. Daher war sie bis zum Ende des 19. Jahrhunderts im Bereich des Designs als auch der Fertigung fast ausschließlich von Männern dominiert. Einen revolutionären Umschwung setzte Louis Cartier mit einer für die damalige Zeit visionären Entscheidung in Gang: Er übertrug die Leitung seiner Designabteilung einer Frau – Jeanne Toussaint. Eigentlich undenkbar und skandalös! Louis Cartier hatte die in Charleroi/Belgien geborene Tochter eines Spitzenklöpplers im Maxim´s in
Paris kennengelernt und sich in sie verliebt. Eine Hochzeit wurde in Erwägung gezogen, doch der Familienrat sprach sich aufgrund des Klassenunterschieds dagegen aus, was Louis Cartier zu seinem radikalen Entschluss brachte, der Dame seines Herzens 1933 die künstlerische Leitung des Unternehmens zu übertragen – und das mit großem Erfolg.

Panther brüllt noch immer

Mit ihrem außergewöhnlichen Gespür für Farben, Proportionen und Volumen schuf sie kraftvolle Kreationen, die oft von Tieren und Pflanzen inspiriert waren und starke unabhängige Frauen anzogen. Ikonisch ist vor allem der Panther: Louis Cartier hatte Toussaint diesen Spitznamen gegeben, denn sie war die wahre Raubkatze in der Maison. Sie war stark, unabhängig und setzte durch ihre schöpferische Kraft so nachhaltige Impulse, dass der „Panther“ über viele Jahrzehnte brüllte und bis heute in einer eigenen Kollektion verewigt ist. Er wurde zu einer Art Signatur für das Haus Cartier. Für Frauen auf der ganzen Welt symbolisiert er Selbstvertrauen und Furchtlosigkeit.

Rebellischer Charme
In einer Zeit, in ­der es Frauen ­lediglich bestimmt war, zu heiraten und Kinder zu ­bekommen, folgte Toussaint ihrer ­beruflichen ­Leidenschaft.

Diese rebellische Symbolkraft steckt in vielen ihrer Entwürfe wie auch „Grain de Café“: Toussaint – die übrigens mit Coco Chanel befreundet war – wählte das Kaffeeblatt als Erkennungszeichen für unabhängige Frauen, die sich ohne ihre Männer im Kaffeehaus trafen. Diese Location war eine der ersten, die Frauen allein aufsuchen durften. Der Kaffee wurde somit zu einem Symbol einer neugewonnenen, emanzipatorischen Freiheit. Das im Jahr 1938 erschienene Motiv löste in den 1950er- und 1960er-Jahren einen wahren Hype aus, weil Grace Kelly und Audrey Hepburn es trugen.

Viel Ärger brachte ihr dagegen eine Brosche mit einem Vogel im Käfig ein, die sie 1942 ins Schaufenster in Paris legte. Die deutschen Besatzer ahnten wohl, dass es sich um eine provokative Metapher für das eingesperrte Frankreich handelt und bestellten die Designerin zum Verhör. Nach dem Krieg tauchte das gleiche Schmuckstück wieder auf, nur dieses Mal war der Vogel frei.

In einer Zeit, in der es Frauen lediglich bestimmt war, zu heiraten und Kinder zu bekommen, folgte Toussaint, gegen alle gesellschaftlichen Konventionen, ihrer beruflichen Leidenschaft und wurde durch ihre besondere Stärke sowie rebellische Persönlichkeit zu einer Legende in der Schmuckbranche.

Fotos: Cartier