„Schenkt Kindern Beziehung“

Vorarlberg / 18.12.2012 • 20:03 Uhr
Jugend- und Gewaltpsychologe Dr. Rudolf Hänsel analysiert die Gründe für Gewalt bei Jugendlichen. Foto: vn/hartinger
Jugend- und Gewaltpsychologe Dr. Rudolf Hänsel analysiert die Gründe für Gewalt bei Jugendlichen. Foto: vn/hartinger

Gewalt- und Jugendpsychologe Hänsel ruft Gesellschaft und Politik zum Handeln auf.

Lindau. Noch schlimmer werden laut dem Gewalt- und Jugendpsychologen Rudolf Hänsel (67) Gewaltexzesse in den USA. Der Experte für Computer-Killerspiele und deren Auswirkungen auf Kinder und Jugendliche spricht sich für ein energisches Auftreten gegen die Hersteller von Gewalt-Videospielen aus und fordert gemeinsame Anstrengungen zur Prävention von Gewalt. Auch die soziale Verwahrlosung und das Fehlen von Beziehungen sieht Hänsel als Ursachen der zunehmenden Aggressionen bei Jugendlichen. Doch Hänsel ortet auch ein steigendes Bewusstsein für das Problem. Mehrere Initiativen würden zudem aktive Maßnahmen setzen.

Was war Ihre spontane Reaktion auf das Massaker von Newtown?

Hänsel: Ich war schockiert, unglaublich betroffen. In solchen Situationen ist man ja auch zuerst Mensch und dann erst Experte. Die Brutalität des Täters war unvorstellbar. Er verwendete Munition, welche die Körper der Opfer fürchterlich zurichtete. Den betroffenen Eltern zeigte man deshalb nicht die sterblichen Überreste ihrer Kinder, sondern nur Fotos.

Sie sind ein USA-Kenner. Wa­rum passieren solche Katastrophen dort immer wieder?

Hänsel: Etwas in den USA ist sehr krank. Das sagt etwa auch mein amerikanischer Berufskollege und Freund Dave Crossmann. Der glaubt, dass das Schlimmste erst noch kommt. Nirgendwo sonst werden Menschen über Medien derart mit Gewalt gefüttert. Die USA huldigen einer Kriegskultur, es gibt ein militärisches Grundverständnis. Ein idealer Nährboden zur aktiven Ausübung von Gewalt.

Warum ist Gewalt gerade bei Jugendlichen so exzessiv geworden? Stichwort Nachtreten gegen solche, die schon am Boden liegen.

Hänsel: Weil viele das wieder und immer wieder in Internet-Gewaltspielen sehen. Und das völlig unkontrolliert. Dann kann es in realen Situationen schon zur Auflösung eines Ehrenkodex kommen. Zum Beispiel dass man auf einen am Boden Liegenden nicht mehr eintritt. Aber natürlich sind solche Täter auch oft sozial verwahrlost und völlig beziehungsunfähig. So wie der Täter in Newtown. Die Muster dieser Gewalttäter sind immer dieselben.

Wie kann man diesem Gewaltpotenzial begegnen?

Hänsel: Indem man Kinder zu Beziehungen anhält, ihnen Zeit und Zuwendung gibt. Indem man gewisse Werthaltungen vorlebt und auch Grenzen setzt. Eltern und Erziehungsberechtigte müssen auch klar sagen dürfen: Das ist gut, und das ist nicht gut.

Weihnachten ist die Zeit der ­Bescherung. Gibt es so etwas
wie gewalthemmende Geschenke?

Hänsel: Die schönsten Geschenke sind Zeit und Beziehung. Man soll Kindern Geschichten vorlesen und ihnen beim Erzählen zuhören. Ihre Sprache zu fördern heißt ja auch sie mit gewaltlosen Waffen bei Konflikten auszustatten.

Weihnachten ist als Zeit hochkommender Emotionen bekannt. Wie empfänglich sind Jugendliche dafür? Vor allem für negative Emotionen?

Hänsel: Ich kenne darüber keine Studien. Doch eines ist klar: Es werden an solchen Tagen in bestimmten Situationen auch reichlich Alkohol und Drogen konsumiert.
Die können natürlich in Kombination mit einer bestimmten Gefühlslage zu negativen Reaktionen führen.

Registrieren Sie eigentlich auch Erfolge im Kampf gegen Jugendgewalt?

Hänsel: Durchaus. Mit Freude registriere ich zahlreiche Initiativen, die sich mit dem Thema auseinandersetzen und Maßnahmen setzen. Auch Jugendliche selbst stellen sich dem Problem. Und Eltern werden oft früher hellhörig, wenn mit ihrem Kind etwas nicht stimmt.

Zur Person

Dr. Rudolf Hänsel

Der 67-jährige gelernte Grund- und Hauptschullehrer studierte nach mehreren praktischen Erfahrungen an verschiedensten Schulen Psychologie und wurde zum Experten für Gewaltprävention. Er war zwischen 2001 und 2007 Rektor und Leiter der Staatlichen Schulberatungsstelle für München und den Landkreis München. Er ist Buchautor und Autor von mehreren Fachartikeln. Sein bekanntestes Werk „Game Over! Wie Killerspiele unsere Jugend manipulieren“ erschienen im Kai Homilius Verlag. Dr. Rudolf Hänsel lebt in Lindau, wo er eine Praxis für Psychotherapie und psychologische Beratung führt.