“Liebe ist ein Lebensmittel”

Vorarlberg / 11.12.2015 • 22:00 Uhr
Elly Böhler, Marlies Müller und Bischof Benno Elbs (v. l.) machen sich über vieles Gedanken. Foto: VN/Paulitsch
Elly Böhler, Marlies Müller und Bischof Benno Elbs (v. l.) machen sich über vieles Gedanken. Foto: VN/Paulitsch

Gedanken über Not, Schenken und Armut bei einem Gipfel der Menschlichkeit.

Schwarzach. Sie sind alle drei unermüdlich in menschlichen Missionen unterwegs und bilden gemeinsam ein großes Stück Gewissen dieses Landes: Bischof Benno Elbs (55), „Ma hilft“-Patin Marlies Müller (69) und „Ma hilft“-Mitgründerin Elly Böhler (88). Gerade in der Vorweihnachtszeit kreisen ihre Gedanken um die Gesichter der Armut in Vorarlberg, um die Magie von Weihnachten, um bewegende persönliche Erinnerungen und um den Wert des Schenkens und des Beschenktwerdens.

Was bedeutet Not im reichen Vorarlberg?

Elbs: Not heißt vor allem: ausgeschlossen sein, nicht dazugehören dürfen zur Wärme einer Gemeinschaft. Klar ist mir das vor allem wieder nach einem aktuellen Besuch im Mutter-Kind-Haus in Feldkirch geworden. Da sind Frauen mit Kindern, die durch Gewalt in der Familie plötzlich aus ihrem Lebensverband herausgerissen wurden. Aber auch in Altenheimen begegnet man Menschen, die nicht dazugehören. Eine betagte Frau zeigte mir unlängst ihren Kalender. Darin fand sich für jeden Tag dieselbe Eintragung: „Wieder niemand auf Besuch gekommen.“

Böhler: Die Not hat sich im Laufe der Zeit geändert. Sie ist sichtbarer geworden. Früher trauten sich arme Menschen noch weniger, ihre Not zuzugeben. Im Lauf der Zeit haben Außenstehende die Not besser zu erkennen gelernt. Ich glaube, dass „Ma hilft“ dazu einen Beitrag geleistet hat.

Müller: Das Ausgeschlossensein – das ist die richtige Bezeichnung. Mich rühren da immer vor allem die Kinder. Wenn sie nämlich von dem ausgeschlossen sind, was Kinder brauchen: von Fürsorge und Geborgenheit. Wir müssen alles tun, damit Kinderseelen durch Not oder andere widrige Umstände keinen Schaden erleiden. Generell wird Armut heutzutage anders definiert als früher. Heute fallen Lebensumstände in die Kategorie Armut, wie sie es früher nicht taten.

Elbs: Es haben sich die Standards für das, was wir als Armut bezeichnen, sicher gewandelt – eine Konsequenz der gesellschaftlichen Veränderungen. Wenn man weiß, wie einfach Menschen zum Teil früher lebten und sich dennoch nicht als arm bezeichneten, dann wird das klar.

Böhler: Armut vollzieht sich heutzutage viel schneller als früher. Menschen stürzen sich gedankenloser in Schulden. Kommt hinzu, dass der Mittelstand immer mehr wegbricht. Das merkt man an der steigenden Zahl von Hilfsgesuchen.

Müller: Das Anspruchsdenken ist heutzutage höher. Aber ich will damit nicht die Vergangenheit glorifizieren. Man darf nicht den Fehler machen, die heutige Zeit mit früheren Maßstäben zu messen und muss stets versuchen, sich in die Lebenswelten der Hilfesuchenden hineinzuversetzen.

Wie soll man der Not am wirkungsvollsten begegnen?

Elbs: Zuerst muss man diese erkennen. Armut schämt sich. Schenken ist vielfach einfacher als Geschenke zu empfangen. Von daher ist „Ma hilft“ so wichtig. Weil „Ma hilft“ direkt bei den Menschen ist. Mein Respekt für euch, Marlies und Elly, wie ihr mit den Notleidenden umgeht. Man muss in Not Geratenen auf Augenhöhe begegnen.

Müller: Bei „Ma hilft“ versuchen wir, sehr zielgerichtet zu helfen. Dazu gehört, das Problem in seinem Kern schnell zu erkennen und dann entsprechend darauf zu reagieren. Ich fahre an viele Orte persönlich hin und informiere mich über die Situation.

Was waren für euch die schönsten Momente als Schenkende?

Elbs: Ich habe als Schenkender viele schöne Momente erlebt. Nie vergesse ich, als ich einer Familie half, deren Oberhaupt tödlich verunglückte. Sie waren so dankbar, dass mir die Kinder Briefe mit Zeichnungen und Fotos schickten. Das hat mich tief berührt.

Böhler: Ich erinnere mich, als eine Mutter mit drei Kindern bei mir aufkreuzte. Sie standen praktisch auf der Straße, weil sie delogiert wurden. Es gelang mir, schnell jemanden zu finden, der ihnen eine Wohnung zur Verfügung stellte. Sie waren unendlich dankbar.

Müller: Mich haben zwei Kinder einer Familie aus tristen Verhältnissen dermaßen berührt, dass ich noch einmal zurückkam und mit ihnen Kleidung kaufen ging. Sie waren überglücklich. Und mir war klar, was für eine große Freude ich ihnen machen konnte.

Bald ist Weihnachten. Wie lässt sich die Magie dieses Festes auch bei nicht so religiösen Menschen erklären?

Böhler: Warum auch immer – Weihnachten verwandelt die härtesten Knochen so, dass sie weich werden. Menschen werden sanftmütig. Das habe ich in den vielen Jahren für „Ma hilft“ immer wieder festgestellt.

Müller: Ich bin schon wieder bei den Kindern. Weihnachten ist geradezu prädestiniert dafür, die Kinder in den Mittelpunkt zu stellen und ihnen Geborgenheit und Liebe ganz besonders intensiv zu demonstrieren.

Elbs: Weihnachten ist die Zeit, die Menschen mit dem wichtigsten Lebensmittel versorgt – der Liebe. Darum finde ich das Schenken und das Beschenktwerden auch so wichtig. Sie sind zumeist ein Ausdruck dieser Liebe. Viele Menschen spüren an Weihnachten: Jetzt geht es um das Entscheidende. Es geht um die Liebe.

Den heutigen VN liegt ein „Ma hilft“-Zahlschein bei. Mit einer Spende helfen Sie notleidenden Menschen in Vorarlberg.