Peter Bußjäger

Kommentar

Peter Bußjäger

Kein Staatsnotar?

Vorarlberg / 07.01.2016 • 19:51 Uhr

So weit sich absehen lässt, wird die Bundespräsidentenwahl in diesem Jahr die einzige bedeutende Wahl sein. Es wird eine Reihe aussichtsreicher qualifizierter Kandidatinnen und Kandidaten gehandelt, was die Wahl spannend machen könnte. Aus diesem Grund gibt es wohl auch keine Diskussionen darüber, ob wir nicht auf die Volkswahl der Bundespräsidentin oder des Bundespräsidenten verzichten könnten.

Die Bundesverfassung von 1920 hatte noch eine Wahl des Bundespräsidenten durch das Parlament vorgesehen. Der Bundespräsident war nicht viel mehr als ein Staatsnotar, beschränkt auf repräsentative Funktionen. Die heute als demokratische Errungenschaft verstandene Wahl des Bundespräsidenten durch das Volk ist das Ergebnis einer im Zeichen des Faschismus stehenden Verfassungsnovelle aus dem Jahre 1929.

Angesichts der Unfähigkeit eines vom Parteienstreit zerrissenen Nationalrats zur Lösung der riesigen Probleme des Kleinstaates Österreich wünschten damals vor allem viele Politiker der christlich-sozialen Partei einen starken Mann an der Spitze des Staates. Der Bundespräsident sollte direkt vom Volk gewählt sein und gegenüber dem Parlament eine starke Rolle spielen. Manche schielten auch nach Italien, wo Mussolini das Parlament schon längst ausgeschaltet hatte.

Da für die Verfassungsänderung die Zustimmung der Sozialdemokraten erforderlich war, gab es zum Glück nur den üblichen österreichischen Kompromiss: Der Bundespräsident wurde direkt gewählt und er – nicht mehr das Parlament – hatte das ausschließliche Recht, den Bundeskanzler und mit ihm die Bundesregierung zu bestellen. Der Bundespräsident kann seither auch den Nationalrat auflösen und Neuwahlen anordnen.

Manche vertreten daher die Meinung, der österreichische Bundespräsident sei aufgrund dieser Kompetenzen besonders mächtig. Das ist aber ein Irrtum, weil die vom Bundespräsidenten eingesetzte Bundesregierung vom Nationalrat jederzeit mit einem Misstrauensvotum gestürzt werden kann. Die Auflösungsdrohung erzeugt höchstens eine Staatskrise, nützt aber nichts.

In der Praxis führt die Volkswahl des Bundespräsidenten nur dazu, dass die Kandidaten dem Volk versprechen, starke Bundespräsidenten sein zu wollen. Genau das können sie aber verfassungsrechtlich nicht sein. Daher wäre es gar kein demokratischer Verlust, auf die Volkswahl des Bundespräsidenten zu verzichten.

Der Bundespräsident kann seither auch den Nationalrat auflösen und Neuwahlen anordnen.

peter.bussjaeger@vorarlbergernachrichten.at
Peter Bußjäger ist Direktor des Instituts für Föderalismus
und Universitätsprofessor in Innsbruck.