„Jeder gegen jeden“

Vorarlberg / 16.03.2016 • 20:37 Uhr
Bernhard Heinzlmaier beim VN-Interview. Foto: VN/HOfmeister
Bernhard Heinzlmaier beim VN-Interview. Foto: VN/HOfmeister

Der Wissenschaftler zeichnet das düstere Bild einer Jugend, die ohne Idealismus lebt.

Schwarzach. Er verteufelt Überreglementierungen und Normierungen, tritt für ein differenziertes Schulsystem ein und sieht die Jugend von heute als willfährige Jünger einer totalen Ökonomisierung: Österreichs bekanntester Jugendforscher Bernhard Heinzlmaier hat Ansichten, die nicht unumstritten sind.

Sie sagten 2008 in einem Interview mit uns: Die heutige Jugend ist wenig visionär und egoistisch. Sagen Sie das heute noch?

Heinzlmaier: In der Sozialwissenschaft ist es etwas Schönes, wenn sich Aussagen bewahrheiten. Diese Aussage, die ich vor acht Jahren getätigt habe, gilt heute noch. Wir erleben eine Radikalisierung des Egozentrismus. Wir sprechen im Zusammenhang mit der Jugend heute von den Adaptiv-Pragmatischen. Das sind die, die Aufstieg durch Anpassung versuchen, durch Wohlverhalten. Sie kriechen den Vorgesetzten in den Hintern rein. Diese Haltung wird heute überall gelehrt. Der Pragmatismus bedeutet: Die Menschen glauben an sich und sonst an nichts. Es gibt einen Grund, dass Dinge so sind: Die totale Ökonomisierung der Lebenswelten, der Kampf jeder gegen jeden

Gibt‘s irgend eine Entwicklung bei Jugendlichen, die Sie positiv bewerten würden?

Heinzlmaier: Positiv könnte sein, dass sie an nichts mehr glauben. Dadurch sind sie nicht mehr so leicht verführbar. Die meisten sind heute durch den Konsum befriedigt. Deswegen ist der Weg in die Radikalität für wenige eine Option. Die meisten Jugendlichen sind nicht glücklich, aber sie sind auch nicht unzufrieden.

Das heißt, Jugendliche bewegt heute nichts mehr?

Heinzelmaier: Es bewegt sie, nach der Matura auf irgend eine Maturareise zu gehen. Das finden sie wahnsinnig toll. Oder sie gehen auf ein sogenanntes „spring break“ nach Kroatien, um einen kurzen exzessiven Urlaub zu verbringen, wo man sich betrinkt und viel Sex hat. Da geht es um ein kurzfristiges Entfliehen vor den Normen, die heute viel lückenloser sind.

Wie kann man als Elternteil heute konstruktiv auf Jugendlich wirken, um sie auf eine gute Spur zu bringen?

Heinzelmaier: Die Frage ist: Was will man? Welche Ziele hat man für das Kind? Der eine will, dass das Kind Erfolg hat und Karriere macht. Ein anderer sagt: Ich will, dass das Kind glücklich wird, eine ganz normale Ausbildung macht und in Vorarlberg einmal in dem Haus wohnt, das ich schon von meinem Vater geerbt habe. Die Ziele können total unterschiedlich sein. Wir leben in einer pluralisierten Gesellschaft, wo es Hunderte Ziele gibt. Es gibt nicht mehr diese Normen, die für 90 Prozent der Menschen gelten.

Sie sind von der Österreichischen Professorenunion eingeladen, die beim Thema Bildung klare Standpunkte hat. Teilen sie diese?

Heinzelmaier: Ich habe klare Positionen. Ich bin ein Gegner einer gemeinsamen Schule und einer Ganztagsschule. Ich halte diese Dinge für eine Katastrophe. Dafür werde ich oft geprügelt. Ich bin für eine plurale Bildungslandschaft mit vielen Angeboten. Ich bin gegen eine pädagogische und kulturelle Monokultur. Da erstickt man alles. Wenn alle denselben Bildungsabschluss haben, dann muss sich der Mensch einen anderen Bereich suchen, wo er sich differenziert.

Zur Person

Mag. Bernhard Heinzlmaier

Der gebürtige Wiener ist Mitbegründer des Instituts für Jugendforschung und betreibt ein Marktforschungsunternehmen in Hamburg

Geboren: 19. Jänner 1960

Wohnhaft: Hamburg und Wien

Hobby: Lesen