“Das ist Irreführung der Leser”

Vorarlberg / 26.04.2016 • 20:12 Uhr
Presserats-Geschäftsführer Alexander Warzilek (r.) zeigt den VN einige Beispiele von Entscheidungen der Senate aus dem vergangenen Jahr. 253 Fälle untersuchte der Presserat. Foto: VN/Paulitsch
Presserats-Geschäftsführer Alexander Warzilek (r.) zeigt den VN einige Beispiele von Entscheidungen der Senate aus dem vergangenen Jahr. 253 Fälle untersuchte der Presserat. Foto: VN/Paulitsch

Presserats-Chef Warzilek warnt vor großem Einfluss der Inserenten auf Redaktionen.

Schwarzach. Die Leiden des jungen Werther von Goethe zählt zu den ganz großen Büchern der Literaturgeschichte. Geschrieben wurde es bereits 1774 – und soll dazu geführt haben, dass sich viele Menschen Werther zum Vorbild nahmen und sich das Leben nahmen. Nun ist diese These umstritten, als sogenannter Werther-Effekt fand sie jedoch Einzug in den Ehrenkodex des Österreichischen Presserates. In Punkt zwölf, Suizidberichterstattung, heißt es: „Verantwortungsvoller Journalismus wägt – auch wegen der Gefahr der Nachahmung – ab, ob ein überwiegendes öffentliches Interesse besteht und verzichtet auf überschießende Berichterstattung.“ Seit 2010 gibt es den Presserat in der aktuellen Form. Drei Gremien, Senate genannt, überwachen Zeitungen, Zeitschriften und deren Onlineportale, ob die zwölf Punkte des Ehrenkodexes eingehalten werden. Alexander Warzilek ist Geschäftsführer des Presserates. Am Dienstag stattete er den VN einen Besuch ab.

253 Fälle pro Jahr

Die VN sind selten Thema im Presserat, erzählt Warzilek. Im Jahr 2015 wurden sieben Fälle von VN und Vol.at untersucht. Ein Ethikverstoß wurde nie festgestellt. Spitzenreiter sind drei Boulevardzeitungen, die sich selber nicht dem Ehrenkodex verpflichtet haben. „Aber wir bewerten auch diese Medien, denn wir sind der Allgemeinheit verpflichtet“, stellt Warzilek fest. Insgesamt untersuchte der Presserat vergangenes Jahr 253 Fälle.

Einer der aufsehenerregendsten war das Foto des Schlepper-Lastwagens, in dem 71 Flüchtlinge ums Leben gekommen sind. Die Kronen-Zeitung veröffentlichte ein Bild des Wagens, auf dem die Leichen zu erkennen waren. Der Presserat hat das Bild verurteilt, der deutsche Presserat hat anders entschieden. „Es sind Grenzfälle. Die Journalisten bei uns im Senat diskutieren intensiv und nehmen ihre Aufgabe sehr ernst“, erzählt Warzilek.

Nicht immer einer Meinung

In der Branche wird derzeit heftig über ein Titelblatt der Wochenzeitung Falter diskutiert. Warzilek schildert den Fall: „Das Bild zeigt künstlerisch gezeichnete, grimmige, dunkelhaarige Männer, die weinende Frauen begrapschen. Damit wird Bezug auf die Silvesternacht in Köln genommen.“ Der Senat urteilte, es sei eine pauschale Verunglimpfung. Warzilek meint dazu: „Ich finde das Urteil sehr streng. Bei einer Illustration hätte man die Kunstfreiheit stärker betonen können.“ Es sei eine knappe Entscheidung gewesen: „Der Senat muss nicht immer richtig liegen. Man kann verschiedener Meinung sein.“

Ein Thema, das den Presserat stetig beschäftigt, ist die Trennung von Inseraten und Artikeln. Warzilek bringt Beispiele: „Eine Gratiszeitung hat ganzseitige Inserate geschaltet und gegenüberliegend die Chefs der Unternehmen interviewt. Die Interviews waren extrem wohlwollend und in Werbesprache formuliert.“ Die Antwort einer Bankenchefin etwa: „Aktuell servicieren wir bereits über 500.000 Kunden.“ Ein anderer Unternehmer sagte, sein Konzern sei „zu einem der größten integrierten Glücksspielkonzerne der Welt geworden, der in den letzten Jahren ein stetiges und nachhaltiges Wachstum aufweisen konnte“. Warzilek bezeichnet solche Interviews als Waschmittelwerbung: „Es kann sein, dass kein Geld geflossen ist. Aber man wollte Werbekunden offensichtlich etwas Gutes tun und sie indirekt streicheln. Das haben wir nicht zugelassen, das ist eine Irreführung der Leser.“

Es braucht eine Firewall

Warzilek befürchtet, dass der Einfluss der Anzeigenabteilungen gewachsen sein könnte, da viele Zeitungen finanziell zu kämpfen hätten. Außerdem werden Redaktionen ausgedünnt, was Journalisten die Zeit nehme, nachzurecherchieren. „Wir lassen wohlwollende Berichterstattung bei Unternehmen durchaus zu. Es muss sich halt im Rahmen abspielen“, sagt der Presserats-Geschäftsführer. Er warnt: „Wenn das zu stark vermischt wird, schadet das dem Journalismus und der Marke.“

Wenn man Werbekunden etwas Gutes tun wolle, solle man das kennzeichnen. Warzilek hofft, dass es in Redaktionen eine „Firewall“ gibt, wie er es nennt. Also jemanden, der Anzeigenabteilung und Redaktion trennt: „Man braucht einen starken Chefredakteur. Langfristig schaden sich die Verlage auch aus unternehmerischer Sicht.“ Es wäre sozusagen journalistischer Selbstmord.

Allerdings ohne Werther-Effekt. Der habe sich übrigens in den 80er-Jahren bewahrheitet. Damals stieg die Zahl der Menschen, die sich vor die Wiener U-Bahn warfen. Als die Medien aufhörten, darüber zu berichten, sank die Zahl wieder rasant.

Wer Anzeigen und Redaktion vermischt, schadet der Marke.

Alexander Warzilek

Zur Person

Alexander Warzilek,

seit 2010 Geschäftsführer des Österreichischen Presserats

Geboren: 15. Oktober 1975

Laufbahn: War unter anderem an der Uni Graz, an der Akademie der Wissenschaft in Wien, an der Uni Luzern und zuletzt von 2007 bis 2010 Koordinator für internationale Angelegenheiten und europäische Integration bei der FMA