Heilsamer Schock
Selten aber doch ist das Leben gerecht: Ein Politiker, dem es normalerweise nicht genug Gesetze geben kann, mit denen die Wirtschaft und die Bürger reglementiert werden, beklagte in den sozialen Medien zähneknirschend: „Man kann halt nicht immer alle Vorschriften einhalten.“ Er meinte damit die Wahlvorschriften für die Bundespräsidentenwahl.
Nun weiß man noch nicht sicher, wie der Verfassungsgerichtshof über die Wahlanfechtung der FPÖ entscheiden wird, aber zumindest eines ist jetzt schon klar: Es hat zahlreiche Verstöße gegen das Gesetz gegeben. Eine gängige Erklärung lautet, dass unsere Behörden von der hohen Zahl der Briefwahlkarten einfach überfordert waren und trotzdem rasche Ergebnisse liefern wollten. Also hätten sie wie in die Enge getriebene Schüler geschummelt. Ob das nun zutrifft oder nicht: Es tut dem Politiker sicherlich gut zu erkennen, dass es nicht immer so leicht ist, die von ihm selbst mitbeschlossenen Gesetze einzuhalten.
Ein Blick über die Grenze, wo mittlerweile 80 Prozent der Stimmen durch Briefwahl abgegeben werden und wo bisher keine Probleme in der Abwicklung bekannt wurden, ist aufschlussreich: Im liechtensteinischen Volksrechtegesetz wird die Briefwahl in zwei Paragraphen mit ein paar Absätzen geregelt. Zusammen gerade einmal 350 Wörter. Im Vorarlberger Landtagswahlgesetz werden dafür schon etwa 1.400 Wörter aufgewendet, im Bundespräsidentenwahlgesetz sogar über 3.000 Wörter.
Dieser Befund trifft natürlich nicht nur auf das Wahlrecht, sondern auch auf unzählige andere Gesetze zu, vor allem im Wirtschafts-und Umweltbereich. Vor allem Bundesgesetze weisen eine legistische Qualität auf, die im Vergleich zum Ausland unter jeder Kritik ist und für den Wirtschaftsstandort wie ein Klotz am Bein wirkt.
Politiker, die genau solche Gesetze beschließen, stört das offenbar nur dann, wenn es sie selbst betrifft. Aber vielleicht ist das aktuelle Drama wenigstens ein heilsamer Schock für die Abgeordneten. Dann hätte die blamable Geschichte doch noch ihr Gutes, egal, ob es zu einer Wahlwiederholung kommt oder nicht.
Nun weiß man noch nicht sicher, wie der Verfassungsgerichtshof über die Wahlanfechtung entscheiden wird.
peter.bussjaeger@vorarlbergernachrichten.at
Peter Bußjäger ist Direktor des Instituts für Föderalismus
und Universitätsprofessor in Innsbruck.
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