“Die Stimmung hat sich verschoben”
Bernd Klisch von der Caritas blickt auf das erste Jahr nach dem Drama von Parndorf.
Feldkirch. Die Stimmung ist gekippt. Ein Jahr, nachdem die Tragödie auf der Autobahn bei Parndorf ein Feuer der Hilfsbereitschaft in Österreich entfacht hat, sind Flüchtlinge nicht mehr willkommen. So lautet der gängige zugespitzte Befund über die Stimmung der österreichischen Bevölkerung gegenüber Schutzsuchenden. Doch dieser Befund hält einer Überprüfung nicht stand. Die Realität stellt sich – wie so oft – differenzierter dar. „Wir haben das anders wahrgenommen“, erklärt Bernd Klisch, Leiter der Caritas-Flüchtlingshilfe, im Gespräch mit den VN.
Emotionen kommen und gehen
Am Samstag jährte sich die Tragödie von Parndorf zum ersten Mal. Auf der Ostautobahn (A4) wurden 71 Tote zusammengepfercht im Laderaum eines Kühl-Lkw gefunden. Die Bilder danach: Hunderte Freiwillige, die am Grenzübergang Nickelsdorf und am Westbahnhof in Wien Flüchtlinge empfingen, mit Nahrung und Kleidung versorgten. „Im September, Oktober und November war die Hilfseuphorie im Land groß“, erinnert sich Klisch. Er hat zu diesem Zeitpunkt seine Funktion bei der Flüchtlingshilfe übernommen und schon damals ein differenzierteres Bild wahrgenommen. „Wir haben im Laufe der Monate viele Informationsveranstaltungen gegeben und dort auch kritische Stimmen wahrgenommen.“
Zudem sei die Caritas auf die Euphoriebremse gestiegen. „Wir wussten, dass es sich um Emotionen handelt. Und Emotionen kommen und gehen.“ Die Caritas habe den Freiwilligen in Ruhe erklärt, was zu tun sei. „Da sind wir auch auf Unverständnis gestoßen, manche haben sich gebremst gefühlt“, führt Klisch aus. Doch die Folgen der rationalen Herangehensweise seien positiv: „Die meisten Helfer, die damals zu uns kamen, sind jetzt noch dabei.“
Die positive Stimmung habe bis Weihnachten angehalten. „Schon vor den Ereignissen in Köln hat die Euphorie nachgelassen. In der Woche zwischen Weihnachten und Silvester haben wir das gemerkt. Dass die Stimmung gekippt ist, nehmen wir aber nicht wahr“, hält der Leiter der Caritas-Flüchtlingshilfe fest. Zahlen untermauern das. Das Nachrichtenmagazin Profil veröffentlichte eine Umfrage des Sora-Instituts. Demnach stimmten im Oktober 2015 79 Prozent der Befragten dem Satz „Es ist unsere Pflicht, Flüchtlinge aufzunehmen“ zu. Im Mai 2016 waren es 75 Prozent. Dem Satz „Österreich sollte sich zuerst um Probleme im eigenen Land kümmern, für Flüchtlinge bleibt da weder Zeit noch Geld“ stimmten im zuerst 45 Prozent zu, Mai 2016 waren es bereits 67 Prozent.
Höhepunkt im Februar
Bernd Klisch bestätigt: „Die Stimmung hat sich schon ein bisschen verschoben. Auch die Sprache ist rauer geworden.“ Wobei der negative Höhepunkt im Februar gewesen sei. „Da haben wir viele Anrufe bekommen. Wir wurden beschimpft, unzählige Gerüchte machten den Umlauf.“ Dies habe wieder abgenommen. „Aber jetzt neue Quartiere zu finden, wäre wahrscheinlich wahnsinnig schwierig.“ Ein Befund, der auch andernorts zu hören ist. Als das Haus für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge in Hohenweiler zur Diskussion stand, stießen die Verantwortlichen auf viel Gegenwind. Das Projekt wurde dennoch verwirklicht. In einer Oberländer Gemeinde hätte dank eines privaten Spenders ein Heim für Flüchtlinge errichtet werden können. Die Hälfte der Einwohner unterzeichneten eine Petition dagegen, der Bürgermeister zog die Notbremse.
„Es haben sich zwei Lager gebildet. Schade ist, dass sie unglaublich starr sind, die Meinungen haben sich extrem verfestigt“, erzählt Klisch und fügt an: „Wir müssen einen Mittelweg finden. Die Flüchtlinge sind ja da. Es muss doch ein gemeinsames Ziel sein, die Situation bestmöglich zu bewältigen.“
Die Euphorie hat nachgelassen. Aber dass die Stimmung gekippt ist, nehmen wir aber nicht wahr.
Bernd Klisch