Peter Bußjäger

Kommentar

Peter Bußjäger

Die Gruft

Vorarlberg / 17.11.2016 • 19:06 Uhr

Die Caritas hat vor ein paar Tagen einige Politiker, wie den Bundeskanzler und den ÖVP-Klubchef im Nationalrat, in eine Obdachlosenunterkunft, genannt „die Gruft“, eingeladen. Ziel des öffentlichkeitswirksam organisierten Ereignisses war, die Sensibilität gegenüber dem bevorstehenden Auslaufen der Bund-Länder-Vereinbarung über die Mindestsicherung zu schärfen. Die Vereinbarung konnte deshalb nicht verlängert werden, weil bestimmte Bundesländer nach Instrumenten suchen, um die stark gestiegenen Kosten der Mindestsicherung in den Griff zu bekommen.

Auf einem eindrucksvollen Foto eines Pressefotografen ist zu sehen, wie sich eine Traube von Journalisten um den Bundeskanzler schart, während eine der Bewohnerinnen der Unterkunft brutal von ihrem Tisch gedrängt wird. Ein gutes Symbol dafür, dass es bei dem Event eigentlich nicht um die Betroffenen, sondern um eine Medieninszenierung ging.

Die Veranstalter erweckten in unverantwortlicher Weise den Eindruck, als würde es ab dem 1. Jänner für die armen Menschen in der Gruft keine staatliche Unterstützung mehr geben. Das ist natürlich falsch. Selbstverständlich wird jeder Hilfsbedürftige in Österreich auch in Zukunft ausreichende Unterstützung erhalten, so wie dies auch der Fall war, bevor die Bund-Länder-Vereinbarung zur Mindestsicherung existiert hatte. Allerdings wird diese Unterstützung so wie früher uneinheitlich sein.

Tatsächlich kann man viel Verständnis für das Anliegen haben, auch in Zukunft österreichweite Mindeststandards zu gewährleisten. Jeder verständige Mensch wird aber auch einsehen, dass eine völlig einheitliche Regelung ungerecht wäre, weil sie etwa jene Armen benachteiligen würde, die in einem Land mit hohen Wohnkosten wie Vorarlberg leben. Auch das Argument, dass eine bundesweit einheitliche Mindestsicherung verhindert, dass viele potenzielle Leistungsempfänger nach Wien ziehen und damit dieses Bundesland belasten, ist nicht plausibel. Eine Großstadt wird aufgrund ihrer Anonymität und der höheren Zahl von Arbeitsplätzen auch in niedrig qualifizierten Bereichen immer eine größere Anziehungskraft als ländliche Gegenden ausüben.

Dass eine Einigung auf Mindeststandards nicht zustande gekommen ist, stellt den Beteiligten auf Bundes- und Landesebene sicherlich kein gutes Zeugnis aus. Es ist aber auch kein Drama! Vor allem ist es jedoch bezeichnend für die Reformunwilligkeit gerade auf Bundesebene. Offenbar darf über eine verbesserte Treffsicherheit von Sozialleistungen nicht einmal nachgedacht werden.

Ein gutes Symbol dafür, dass es bei dem Event eigentlich nicht um die Betroffenen, sondern um eine Medieninszenierung ging.

peter.bussjaeger@vorarlbergernachrichten.at
Peter Bußjäger ist Direktor des Instituts für Föderalismus
und Universitätsprofessor in Innsbruck.