„Er ist auch jetzt für uns da“

Vorarlberg / 18.11.2016 • 19:12 Uhr
Eine tapfere Frau. Alexandra Biedermanns Gatte Gerhard ist vom Kopf abwärts gelähmt. Foto: VN/Hofmeister
Eine tapfere Frau. Alexandra Biedermanns Gatte Gerhard ist vom Kopf abwärts gelähmt. Foto: VN/Hofmeister

Der Nenzinger Amokläufer schoss Gerhard Hummer zum Pflegefall. Eine Familie leidet.

Nenzing. Sie hatten ein fast kitschig schönes Familienleben. Mit ihm als natürlichem Leader. „Gerhard hat für uns gelebt. Seine Familie war alles für ihn. Er ging nie aus. Und wenn, dann mit uns.“

So war das auch am Samstagabend des 22. Mai. Frau Alexandra Biedermann und die beiden Töchter gingen zum Fest des Motorradklubs „The Lords“. Ein Verwandter der Familie half dort schon seit 30 Jahren aus. Sie hatten es schön. „Es war schon spät. Ich fragte Gerhard: ,Hast du noch Bons?‘ Er sagte Ja und wollte noch ein paar davon für etwas Essbares verbrauchen. Alkohol getrunken hat er ja nie. Nicht einen Schluck. Aber gerne gegessen.“ Gerhard Hummer schlendert zu den Verpflegungsständen, als Schüsse durch die Nacht peitschen. Verwirrung, Panik, davonlaufende Menschen, Schreie.

„Es tut so weh“

Am Ende liegt Gerhard von mehreren Schüssen getroffen am Boden. Neben dem Toten. Anwesende Festgäste leisten erfolgreich Erste Hilfe, bis die Retter eintreffen. Als Gattin und Töchter am nächsten Tag ins Krankenhaus kommen, erfahren sie die bittere Wahrheit. Gerhard ist vom zweiten Halswirbel abwärts gelähmt. Er wird für immer ein Pflegefall bleiben.

„Es tut so weh, darüber zu sprechen“, sagt eine der Töchter. „Ich hab’ das noch lange nicht überwunden. Es ist alles noch zu frisch.“

Gerhard befindet sich seit fast fünf Monaten in einer Spezialklinik im bayrischen Murnau. „Er kann mittlerweile leicht den Kopf bewegen. Auch sprechen gelingt ihm mit viel Mühe für einige Minuten“, erzählt Gattin Alexandra. Die Spezialisten müssten ihn dafür „entblocken“. Und dann sollte er langsam und entspannt artikulieren. Zum Atmen braucht er allerdings ein Beatmungsgerät, und auch die Ernährung gestaltet sich oft schwierig.

Er macht sich Sorgen

„Wir sind jedes Wochenende bei ihm in Murnau“, erzählt Alexandra. Sechs Stunden sitzen sie dafür im Auto. „Natürlich ist das immer anstrengend. Aber wir wollen bei Gerhard sein, und er will uns bei sich.“ Dabei unterstützen nicht nur Alexandra und die beiden Töchter ihren Mann bzw. Vater, „auch er ist selbst in diesem Zustand immer für uns da“.

Alexandra Biedermann berichtet von den zahlreichen praktischen Tipps fürs Haus und andere Dingen, die ihnen Gerhard mit größter Anstrengung mitteilt. „Er kennt das Haus in- und auswendig. Er hat’s ja fast alleine gebaut. Und wenn einmal etwas kaputt ist, instruiert er uns, was wir wie zu tun haben“, erzählt die Ehefrau.

Gerhard habe den Mut nie verloren. „Er macht sich sogar über unser Wohlergehen Sorgen“, sind Alexandra und die Töchter tief gerührt.

Kommt er im Jänner?

Wahre Größe beweist die Gattin des Schussopfers in ihren Gedanken an die Familie des Täters. Sie will nicht, dass dieser unnötiges Leid zugefügt wird. „Seine Mutter und Großmutter wollten doch auch nicht, dass ihr Kind so wird.“

Gedanken kreisen bei der Familie natürlich vor allem um die Rückkehr ihres Familienoberhauptes. Dies wird nicht einfach. „Gerhard braucht ganz spezielle Betreuung“, weiß Alexandra. Ursprünglich schlug man der Familie vor, Gerhard nach Wien zu schicken, weil nur dort die benötigten Einrichtungen vorhanden seien. „Aber das kam für uns natürlich nicht infrage. Er soll ins Pflegeheim nach Nenzing kommen. Ein Pfleger war schon einmal in Murnau, um zu sehen, wie man Gerhard betreuen sollte.“ Vielleicht kommt der Patient bereits im Jänner.

Alexandra Biedermann hat nicht aufgehört, positiv zu denken. „Unser Traum ist es, Gerhard irgendwann wieder bei uns im Haus zu haben. Ohne Beatmungsgerät, und so, dass er ohne große Probleme sprechen kann.“