Regieren muss gelernt werden

Johannes Rauch stellte sich erstmals als Regierungsmitglied einem Landesparteitag.
Bregenz. Politische DNA ist schwerfällig. Jahrzehnte gewachsen, kaum zu verändern, aber plötzlich mit neuen Begebenheiten konfrontiert. Die Vorarlberger Grünen waren 30 Jahre lang in der Opposition. Im Herbst 2014 wechselten sie die Seiten, agieren nun als Juniorpartner der Landesregierung. Projekte, die früher kompromisslos bekämpft oder gefordert wurden, mussten plötzlich einer differenzierten Betrachtung weichen. Straßenbau, Wohnbau, Landwirtschaft; Interessensabwägung heißt das neue Zauberwort. Manche mussten sich an diese Rolle erst gewöhnen. Die Feldkircher Stadträtin Marlene Thalhammer warf der Landespartei damals vor, beim Stadttunnel von der ÖVP erpresst worden zu sein. Am Freitag stellte sich Landesobmann Johannes Rauch in Dornbirn erstmals als Landesrat einem Parteitag. Hohe Zustimmung war ihm gewiss – die Grünen haben sich ans Regieren gewöhnt.
Kompromiss oder FPÖ
Grüne sind nicht dafür bekannt, Sozialleistungen zu kürzen. In Vorarlberg ist dies geschehen, der Aufschrei der Basis hielt sich aber in Grenzen. Thomas Ender von den Götzner Grünen beurteilt die neue Mindestsicherung so: „Aus meiner Sicht geht sie komplett an der Realität vorbei. Aber es ist ein Kompromiss. Ich finde es gut, dass gearbeitet und nicht gestritten wird.“ Ähnlich äußert sich Karin Fritz von der grünnahen Offenen Liste Bludenz: „Bei der Mindestsicherung ist vieles nicht erreicht worden. Aber in einer Koalition sind Kompromisse notwendig.“ Johannes Rauch weiß: „Kompromisse sind schwieriger zu verteidigen als die reine Lehre. Als Alternative zur Mindestsicherung hätten wir die Koalition platzen lassen können und damit den Weg zur blauen Regierungsbeteiligung geebnet.“ Die Verhandlungen seien aber sehr wohl an der Roten Linie vorbeigeschrammt.
Wirtschaftsfreundliche Grüne
Innerkoalitionäre Auffassungsunterschiede seien keine Seltenheit. „Wir haben ganz andere Zugänge, was den Umgang mit Natur und Landschaft betrifft. Wie derzeit beim Thema Landesgrünzonen“, erläutert Rauch. Über dieses Thema hat auch die Grüne Wirtschaft diskutiert, wie deren Vorsitzende Gabriela Harmtodt berichtet: „Wirtschaft braucht Platz. Aber es gibt Alternativplätze, die nicht in der Grünzone liegen.“ Sie wurde am Freitag in den Landesvorstand gewählt, und stellt der Partei ein gutes Zeugnis aus: „Die Grünen in Vorarlberg sind wirtschaftsfreundlicher als einige Kollegen in Innerösterreich.“ Rauch teilt ihre Meinung, was die Causa Ölz betrifft: „Wir werden Druck ausüben, dass alternative Standorte geprüft werden.“
Weniger Öffentlichkeit
Harmtodts Kollege von der Arbeitnehmerseite, Sadettin Demir, hat ebenfalls nichts zu kritisieren: „Ich bin sehr zufrieden. Man muss sich vor Augen halten, was mit der FPÖ bei der Mindestsicherung herausgekommen wäre“, sagt der Vorsitzende der grünen AK-Fraktion Gemeinsam. Rauch selbst lobt das Koalitionsklima. Die Parteien hätten eben unterschiedliche Stile. Sein Koalitionspartner, Landeshauptmann und ÖVP-Chef Markus Wallner, sucht zum Beispiel rascher die Öffentlichkeit, als es Rauch tut. Dieser sieht’s gelassen: „Es steht jedem frei zu entscheiden, wie schnell er in das nächstliegende Mikrofon reinbeißt.“
Der Landesrat habe 2014 erstmals schmerzhaft erfahren, was Kompromisse bedeuten: „Wir müssen am Boden bleiben. Mit 17 Prozent sind wir eindeutig der kleinere Koalitionspartner.“ Das schwarz-grüne Regierungsprogramm ist 77 Seiten dick. Rauch glaubt nicht, dass alle Punkte erledigt werden können: „Bei der Kinderbetreuung oder den öffentlichen Verkehrsmitteln sind wir schon weit. Beim Wohnen haben wir Aufholbedarf und bei der Modellregion im Bildungsbereich sind wir vom Bund abhängig.“ Johannes Rauch will sich jedenfalls 2019 dem Wähler stellen. Die Regierungsarbeit sei auf zwei Perioden angelegt. 2020, nach den Gemeindewahlen, steht der nächste Landesparteitag an. Dann ist Johannes Rauch 60 Jahre alt. Ob er noch einmal kandidiert? „Das entscheide ich dann“, sagt er.
Parteiinterne Kritiker sind mittlerweile besänftigt. „Ich war am Anfang sehr kritisch. Mittlerweile sieht man, dass die Arbeit gut funktioniert. Und wir wissen, wie schwierig es ist, mit einer Partei zu verhandeln, die eine jahrzehntelange Alleinregierung gewohnt ist“, führt Feldkirchs Marlene Thalhammer aus. Konflikte zwischen Gemeinden und Landespartei wird es aber immer geben. Beispiel Götzis: „Wir diskutieren gerade mit der Landespartei über das Projekt Wieden-Kalkofen“, sagt Thomas Ender. Rauch dazu: „Wir haben eine klare Haltung: Das soll man umsetzen.“ Parteiinterne Debatten sind eben auch Teil der grünen DNA.
Mittlerweile sieht man, dass die Arbeit gut funktioniert.
Marlene Thalhammer
Grüne in Vorarlberg sind wirtschaftsfreundlicher als im Osten.
Gabriela Harmtodt